Schwalb, Michael: Hans Pfitzner. Komponist zwischen Vision und Abgrund – Regensburg: Pustet, 2016 – 136. S.: s/w-Abb., Zeittafel, Chronologie der wichtigsten Werke, Literaturnachweis (Kleine bayerische Biograhien)
ISBN 978-3-7917-2746-2 : € 12,95 (Pb., auch als e-book)
Im Jahre 1949 starben zwei renommierte Komponisten: Richard Strauss und (der um fünf Jahre ältere) Hans Pfitzner. Während heute in Konzertsälen und in Opernhäusern ohne Strauss nichts „läuft“, sind Aufführungen von Pfitzner-Werken extrem dünn gesät. Gerade mal sein chef d’oeuvre Palestrina kommt hier und da zu Ehren, was Pfitzners eigener Wertungschronologie freilich entspricht. Die Identifikation des Komponisten mit seiner „musikalischen Legende“ ging übrigens so weit, dass er nachträglich Schuldgedanken gegenüber der Szene entwickelte, in der Palestrina im Finale des ersten Aktes seine verstorbene Frau erscheint. Gleichzeitig ist dieses mystische Bild mit dem Auftreten von historischen Meistern der Tonkunst ein Sinnbild für Pfitzners (einigermaßen übersteigertes) Selbstwertgefühl. Es liefert darüber hinaus eine Manifestation seines prinzipiell retrospektiven Musikverständnisses.
Das Coverfoto der Biografie von Michael Schwalb mit dem am Klavier sinnend in die Höhe blickenden Komponisten könnte fast das Foto einer Bühnenaufführung sein. Bilder aus letzter Zeit zeigen hingegen eine Art Waldschrat, was nicht alleine am Greisenalter Pfitzners liegt, dem seine massive Sehschwäche fraglos verstärkt grimmige Züge verliehen haben dürfte. In seinem Buch, welches durch Überschaubarkeit besonders für sich einnimmt (“kleine bayerische Biografien“), sagt der Autor zur überaus widersprüchlichen Persönlichkeit des Komponisten alles Wesentliche, wobei seine journalistisch griffigen und effektvollen Formulierungen dem unbefangenen Leser mit Sicherheit Essenzielleres vermitteln als akademische Weitschweifigkeiten. Man spürt den fundierten Musikwissenschaftlicher ebenso wie den im besten Sinne routinierten Rundfunkmoderator (Michael Schwalb ist im Hauptberuf Redakteur beim WDR). Der verbal treffsicheren Worte gibt es zu viele, als dass man sie lediglich pars pro toto zitieren sollte. Das gilt sowohl für die Beschreibung kompositorischer Prozesse und Stilhaltungen als auch für Biografisches. Pfitzners bizarres Sendungsbewusstsein wird ohne Beschönigung kritisch beleuchtet, was die überwiegend positive Einschätzung musiksprachlicher Inspiration aber nicht beschneidet. Speziell im vorteilhaft gerafften Kapitel über die Kammermusik wird (geradezu mit Erstaunen) konstatiert, wie weit sich Pfitzner tonsprachlich vorzuwagen imstande war, ohne dass er seine tonale Orientierung gänzlich aufgab. Eine besonders interessante Beobachtung Schwalbs ist die eigentümlich abflachende Gestaltung vieler seiner Finalsätze.
Was Pfitzners Nähe zum Nationalsozialismus betrifft, verweist der Autor auf umfangreichere Arbeiten, etwa die von Sabine Busch (2001). Seine eigene komprimierte Darstellung, welche in einem der diversen eingerückten Kapiteln nochmals zusammengefasst wird, sorgt aber für genügend Verständnis: ideologische Sympathie ja, aber durchsetzt von privat-egozentrischen Kritikpunkten. Mit Pfitzners „seltsamster Mischung von wahrer Größe und Intoleranz“ (Bruno Walter, S. 126) wird man weiterhin leben müssen.
Blick ins Buch
Christoph Zimmermann
Köln, 24.07.2016