Bunz, Rainer: Der vergessene Maestro – Frieder Weissmann. – Norderstedt: Twentysix, 2016. – 432 S.: Abb.
ISBN 978-3-7407-0930-3 : € 39,90 (geb.);
ISBN 978-3-7407-0899-3: € 29,99 (Pb.)
Der Name des deutsch-jüdischen Dirigenten Frieder Weissmann ist heute wohl nur noch Sammlern von Schellack-Platten ein Begriff. Der 1893 im hessischen Langen als Sohn russischer Einwanderer geborene Kantorensohn, dessen musikalische Ambitionen vom strengen Vater keineswegs unterstützt wurden, studiert auf dessen Wunsch zuerst Jura, wechselt danach zu einem Philosophie-Studium und promoviert schließlich mit 27 Jahren. Musikalisch wird er durch seinen Münchner Lehrer, den Komponisten Walter Braunfels, entscheidend geprägt. Erste praktische Erfahrungen sammelt er als Korrepetitor am Frankfurter Opernhaus, sein Einkommen bessert er sich als Kaffeehauspianist auf. Probleme bereitet Weissmann zu dieser Zeit die Tatsache, dass er russischer Staatsbürger ist, und die deutschen Behörden eine Einbürgerung ablehnen.
Als er in Stettin 1916 eine Stellung als Kapellmeister erhält, ändert er aus nicht nachvollziehbaren Gründen seinen Vornamen von Samuel in Frieder, bzw. Friedrich. Später wird er auch sein Geburtsdatum und seinen Geburtsort nicht korrekt angeben.
Gegen Ende des ersten Weltkrieges schlägt sich Weissmann als Korrepetitor und Kapellmeister in Berlin und München eher mühsam durch. Seine russische Staatsbürgerschaft kann er mit Glück und der Hilfe eines befreundeten Finnen durch erfundene familiäre Details in eine finnische ändern. Damit sind die Ängste vor einer möglichen Ausweisung erst einmal gebannt. Aber auch in der Folge gestaltet sich seine berufliche Laufbahn kompliziert und ist von Rückschlägen geprägt. Seine größte Chance erhält er durch das vergleichsweise junge Medium Schallplatte. Eher zufällig wird er für Aufnahmen der damals führenden Plattenfirma Lindström AG herangezogen. Es folgen über zehn Jahre erfolgreicher Arbeit im Aufnahmestudio, der Name Dr. Frieder Weissmann wird zum Markenzeichen der Label Parlophon und Odeon. Eine komplette Diskographie von Weissmanns Aufnahmen wäre ein fast aussichtsloses Unterfangen, man kann von deutlich über zweitausend Einspielungen ausgehen. Neben Orchesterwerken dirigiert er auch unzählige Arienaufnahmen der damals führenden Sänger. Mit der Berliner Sopranistin Meta Seinemeyer, die in den 20er-Jahren der Star der Dresdner Oper war, verbindet ihn bald mehr als nur künstlerische Zusammenarbeit. Die Leukämieerkrankung der jungen Frau überschattet aber schon bald diese Beziehung und das Glück jener Jahre, die vielleicht Weissmanns beste gewesen sind. Buchstäblich auf ihrem Totenbett heiratet er Seinemeyer am 19.August 1929 in Dresden.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, erkennt Weissmann die Zeichen der Zeit sofort und verlässt Deutschland in Richtung Holland. Damit beginnt eine Odyssee, die bis zu Weissmanns Tod 1984 andauern wird. Nord-und Südamerika, dort vor allem Argentinien scheinen ihm zu einer zweiten Heimat zu werden, aber eine wohl angeborene Ruhelosigkeit verhindert dauerhafte Sesshaftigkeit. Ähnlich ergeht es ihm beruflich.. Trotz unbestrittener Erfolge als Dirigent verschiedenster Orchester kann oder will er sich nicht dauerhaft binden, mehrfach liegt das Scheitern in der finanziellen Lage der einzelnen Orchester begründet, vereinzelt aber auch in persönlichen Differenzen. In seinen späteren Lebensjahren ist sein Leben dadurch nicht frei von materiellen Sorgen. Der Krebstod seiner zweiten Ehefrau lässt Weissmann weiter vereinsamen, eine letzte Zuflucht findet er bei einer langjährigen Geliebten in Holland.
Der Autor Rainer Bunz, ursprünglich Fernsehjournalist, hat sich der schwierigen Aufgabe unterzogen, dieses wahrhaft komplizierte Leben akribisch nachzuzeichnen. Man kann nur ahnen, wie aufwendig allein das Recherchieren von Weissmanns Auftritten auf mehreren Kontinenten gewesen sein muss. Bunz gelingt mit dieser Biographie aber tatsächlich ein wichtiger Beitrag zur Geschichte exilierter Musiker, der musikalischen Szene vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten, und nicht zuletzt auch die Schilderung eines facettenreichen, an Höhen und Tiefen überreichen deutsch-jüdischen Musikerlebens. Man kann dem flüssig geschriebenen, interessanten Buch nur weite Verbreitung wünschen!
Peter Sommeregger
Berlin, 20.05.2016