Walter Braunfels / Hrsg. von Ulrich Tadday – München: edition text+kritik, 2014 – 203 S., s/w-Abb., Notenbeisp., Faks. u.a. (Musik-Konzepte Neue Folge ; Sonderband)
ISBN 978-3-86916-356-7 : € 27,00(kart.)
Geschichte hat einen langen Atem, auch die der Musik. Johann Sebastian Bach beispielsweise war nach seinem Tod dem Blick der Öffentlichkeit für lange Zeit entzogen, bis ihm Felix Mendelssohn die Wege neu ebnete. Im 20. Jahrhundert torpedierte der Nationalsozialismus manch hochfliegende Karrieren von heute auf morgen. Einiges Schicksalhafte wurde später wieder korrigiert (Franz Schreker, Erich Wolfgang Korngold, Berthold Goldschmidt). Bei Walter Braunfels (1882-1954) hat sich die Wiedergutmachung besonders viel Zeit gelassen, doch stehen die Zeichen mittlerweile günstig. Braunfels-Werke finden vermehrt Eingang in Konzertprogramme, noch stärker wirkt die Renaissance auf dem Gebiet der Oper, zumal an kleineren Häusern: Ulenspiegel in Gera, Verkündigung in Kaiserslautern, Die Vögel in Osnabrück, Der Traum ein Leben in Bonn. Demnächst, Anfang 2016, kommt Jeanne d’Arc in Köln heraus, wo der 1882 in Frankfurt geborene Braunfels von 1925 bis 1933 Rektor der Musikhochschule war.
Nach 1945 wirkte er, gefördert durch den ihm in vieler Hinsicht seelenverwandten Konrad Adenauer, nochmals einige Zeit in seinem alten Amt, aus welchem er Jahre zuvor als „Halbjude“ vertrieben worden war („innere Emigration“ am Bodensee). Somit kam alles mehr oder weniger wieder ins Lot, wozu die Haltung von Braunfels als „demütiger Christ“ (Michael Custodis, S. 83) fraglos beitrug. Ob er, der von der „braunen“ Ideologie nahezu vernichtete Komponist, Pianist und Musikpädagoge, wirklich von Herzen verzeihen konnte, muss offen bleiben. Aber er gab sich betont versöhnlich, stellte musikalische Qualität stets über politische Entgleisungen (so bei Hans Pfitzner).
Die Musik-Konzepte halten Beiträge fest, welche auf einem Braunfels-Symposium 2013 im schweizerischen Winterthur zum Vortrag kamen. Diese Stadt war einst Zentrum der Künstlerfreundschaft von Braunfels und seinem Mäzen Werner Reinhart gewesen. Der einschlägige Beitrag von Ulrike Thiele wie auch der von Custodis („Walter Braunfels 1945: Erinnerungen – Realitäten – Entscheidungen“) ist für das Verständnis eines zutiefst religiös geprägten Komponisten noch erhellender als die (gleichwohl wertvollen) Einzelbetrachtungen über das Schaffen von Braunfels. Seiner Neigung zur Phantastik gelten nota bene gleich zwei Beiträge. Ein interessanter Appendix ist der Abdruck eines Nachrufs von Braunfels auf den von ihm hochverehrten, 1911 gestorbenen Dirigenten Felix Mottl.
In den biografischen Texten spiegelt sich das künstlerische „Ego“ von Braunfels wohl am umfassendsten und griffigsten. Mit „eiserner Disziplin“ (Sohn Michael Braunfels, S. 17) opponierte der „Nachfahre einer tonalen Zeit“ (Braunfels mit eigenen Worten, S. 74) zeitlebens gegen das kompositorische Prinzip eines Arnold Schönberg (wetterte auch etwas engstirnig gegen fremdartige Strömungen wie den Jazz). Ein plakativer Romantiker war Braunfels allerdings nicht. Die überzeitlichen Reize seiner Musik beginnt man gerade wieder neu zu begreifen und zu achten. Zu diesem Verständnis tragen die Musik-Konzepte (naturgemäß mit leicht akademischer Anhauchung) umfänglich bei.
Inhaltsverzeichnis
Christoph Zimmermann
Köln, 14.10.2015