Playing Mephisto. Kulturzerstörung im digitalen Zeitalter
Zu einem Aspekt der 5. kulturpolitischen Jahrestagung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, 24. und 25. April 2015
Wie immer, wenn Kulturpolitiker und -manager weitgehend unter sich sind und echte Kulturschaffende, also etwa Künstler (Poeten, Maler, Schauspieler oder Musiker) nur zur Zierde (hier für musikalische „Weckrufe“) eingeladen sind, fanden sie sich selber auch diesmal wieder sehr „spannend und kreativ“. Wenn man sich hauptsächlich mit real erklingender Musik und ihren historischen oder gegenwärtigen Kontexten beschäftigt, kann einen dieses Selbstlob der Branche nur verwundern. Es ist doch eher zäh, sich nur über Rahmenbedingungen von Kulturproduktion zu unterhalten als über Produkte künstlerischen Schaffens selber. Aber wenn die Manager der Kreativindustrie über die „Ökonomisierung der Kultur“ sprechen, wissen sie wenigstens wovon sie reden, denn Kultur ist ihr Geschäftsmodell.
Wie auf anderen, ähnlichen Veranstaltungen der letzten Jahre, prallten beim Thema Digitalisierung die Extreme auch hier direkt aufeinander und wurden beim Namen genannt: Verteufelung oder Verherrlichung der Digitalisierung kultureller Gegenstände. Manchmal wurde der gewichtige Unterschied auch kaum merklich nur daran deutlich, dass manche euphorisch von „digitalen Welten“ oder „Räumen“ schwärmten, andere nur von Digitalisierung als einer neuen Darbietungsform traditioneller Inhalte. Jene, die schon in die „digitale Welt“ abgedriftet sind, wollen nicht mehr zwischen Original und Kopie unterscheiden, andere wollen die kulturellen Phänomene noch analog erleben und halten diese Form für einzig adäquat. Es dürfte kaum noch Vermittlungsmöglichkeiten geben zwischen einerseits jenen, die alle (verdinglichten) Kulturprodukte für digitalisierbar halten und glauben, in dieser Sphäre neue Inhalte kreieren zu können und andererseits jenen Lesern, Hörern, Betrachtern, die nur dasjenige für kulturell wirklich wertvoll halten, was an den so genannten Kulturgütern gerade nicht digitalisierbar ist, sondern nur vom Original ausgelöst werden kann. Der blauäugige Optimismus der einen (hier von Vertretern der Gamification vertreten) ist ebenso tragisch wie der radikale Pessimismus der anderen.
Mit einem falsch verstandenen oder absichtlich in sein Gegenteil verkehrten Schiller-Zitat aus seinem Stück Kabale und Liebe über endlose „Veränderung als Salz des [teuflischen] Vergnügens“ fing es an (es wurde erst durch den Schlussvortrag von Dieter Rossmeisl zurechtgerückt), mit einer absichtlichen Minimierung von Goethes Faust („alles wegnehmen, was Goethe ausmacht“), der Reduktion auf sein angebliches Thema: Verführung, ging es weiter, kredenzt ausgerechnet vom „Leiter Information“ des Goethe-Instituts, Klaus Krischok. Denn der mit ihm in konzertierter Aktion auftretende Christoph Deeg war überzeugt, mit seinem Werbespot Being Faust für den Auftritt des Goethe-Instituts in Süd-Korea über sinnentleerte mephistophelische Verführungen in einer shopping mall etwas Kreatives getan zu haben, anstatt immer nur über Digitalisierung zu reden. Hier gerinnt Kultur zur virtuellen Schokolade. Prompt wünschte sich ein Teilnehmer mehr attraktive Verführung in die digitale Welt.
Man arbeitet übrigens mit dem gleichen Trick aller früheren, totalitär auftretenden Avantgarden: man erweitert den Kulturbegriff und behauptet, in dieser Erweiterung sei alles Alte aufgehoben und alles Neue als Maßstab inbegriffen und redet deswegen auch von einer „analog-digitalen Gesamtstrategie“, um sich vor dem Vorwurf digitaler Einseitigkeit zu schützen. Die Zauberworte heißen Kommunikation und Komplexität, um das Manipulative an der gamification, die ja eine Übertragung von Spielstrategien auf spielfremde Gebiete ist, zu vertuschen. Computer-Games, zu deren Propagierung sich noch Prof. Malte Behrmann gesellte, sind überhaupt die neue Leitkultur dieser Erlösungsstrategie von den früheren kulturellen Geheimwissenschaften, denn: die kommunizierenden „Menschen da draußen“ sind es, die die neuen Inhalte mit ihren innerdigitalen Erfahrungen produzieren. Die alte analoge Kultur hat nach dieser nicht mehr nur statisch-dokumentarischen, sondern dialogorientierten und auf Konversation abzielenden Kulturauffassung ihre Deutungshoheit, ihren Anspruch auf Qualitätsmerkmale und Auswahlkriterien verloren. Würden die Kulturschaffenden und deren Manager die Realität draußen akzeptieren, würden sie merken, dass fast nur noch mit Smartphone kommuniziert wird, also der digitale Raum eine entscheidende Erweiterung des Lebensraums auch für die Kulturvermittlung geworden sei, woran man sich anzupassen habe. Nur nebenbei auch auf facebook zu operieren, sei unprofessionell. Die Kulturschaffenden hätten der neuen kommunikativen Lebensform kompatibel zu werden, denn über Inhalte würde eh’ von den Menschen aus ihren alltäglichen Lebensformen heraus entschieden. Es käme eher darauf an, nach gelungener gamification der Kulturinhalte die neuen virtuell gewonnenen Lebensinhalte in die analoge Welt zu übernehmen. Denn, was heute auf kulturellem Gebiet noch relevant sein könne, ergebe sich nur noch aus der Kommunikation im Web. Um von irgendeiner traditionellen Kulturinstitution aus eine Vorauswahl treffen zu können, hätten diese längst die Übersicht verloren.
Dass die Möglichkeiten der Gestaltung von kulturellen Inhalten im digitalen Raum viel besser gelängen als bisher, hätten nur jene Kulturvertreter noch nicht begriffen, die noch nie auf einer gamescom waren. Sie würden sicherlich von der nächsten gamescom als Eingeweihte zurückkehren, die einer Gamifizierung aller kulturellen Inhalte zustimmen würden. Oder?
Oder erstmals das ganze Ausmaß dieser modernen Versklavung der Kultur unter dem Diktat des Digitalen voll erkannt haben. Denn die Grenzen der Digitalisierung könnten für Kulturschaffende auch gerade dort gesteckt sein, wo sie mehr sein will als eine neue Form von Vermittlung, Darstellung und Interpretation kultureller Inhalte. Da der mechanisch motivierte Mensch mit seinen (vom gaming manipulierten) Erfahrungen seine eigene Auswahl treffen wird, werden in dieser digital-analogen Gesamtstrategie alle traditionellen Formen von qualitativ bestimmter Kulturvermittlung (Museen, Archive, Bibliotheken, Konzertsäle, Opernhäuser etc.) hinfällig und die immer noch anachronistisch aufgeworfene Frage, was man mit den gespeicherten, digitalisierten, gamifizierten Kulturgütern nun von Seiten der Kulturinstitutionen macht, wird sich dank der frei florierenden Kommunikation erübrigen. Wohl bekomm’s! Der digital erweiterte Kulturbegriff wird dazu führen, dass wir alle in einem totalitären Netz gamifizierter Komplexität zappeln und dann noch behaupten, wir hätten die Vielfalt gerettet. Der Manipulierte weiß nichts von der ihm zugefügten Manipulation. Die schlimmste Knechtschaft des Menschen ist bekanntlich die freiwillige. Seltsam ist auch, dass solche Phantasien von Menschen kommen, die ganz naiv an Netzneutralität glauben und sich einbilden, sie könnten die Eigendynamik des digitalen Kapitalismus (der auf Überwachung und Monopolbildung angewiesen ist), sie könnten das Ranking, das Abwerten, den Ausschluss unrentabler kulturbeflissener Plattformen und das Unterbinden von deren interaktiven Kommunikation durch kulturpolitisches Handeln, Gesetze und Regeln bekämpfen.
Dieser Kommentar bezieht sich hauptsächlich auf das Forum Kultur per App vom 25.04.; eine Livedokumentation der kompletten Tagung findet man hier.
Dieser Kommentar erscheint übrigens auf einem dank Googles Algorithmen neuerdings von der Kommunikation nahezu ausgeschlossenen Blog.
Peter Sühring
Berlin, 25.04.2015