Graf, Christof: Joe Cocker. Mit Gänsehaut durch die Jahrzehnte. Die Biografie. – aktual. u. erw. Neuausg. – Höfen: Hannibal, 2015. – 253 S.: zahlr. s/w-Fotos (Edition Koch)
ISBN 978-3-85445-475-5 : € 19,99 (Hardcover; auch als e-Book)
Joe Cocker ist ein Mosaik, das vor langer Zeit schon aus dem Rahmen gefallen ist. Er selbst hat das Bild gesprengt, mit jener erinnerungswürdigen Interpretation eines Beatles-Songs in Woodstock, mehr Urschrei-Therapie als Gesang. Seitdem liegen seine Einzelteile im Raum verstreut und jeder sucht sich sein Lieblingsstück heraus. Die einen schätzen seinen ekstatischen Gesang, die anderen schmunzeln über das unkontrollierte Armrudern. Mal ist er der kuschelnde Ex-Hippie (Up where we belong), mal der Cover-Sänger, der Klassikern neues Leben einbrüllt. So blieb Joe Cocker ein Fragment, bis zu seinem Tod im Dezember 2014.
Christof Grafs Biografie kommt somit zur rechten Zeit. Nicht nur, weil sie Ende letztens Jahres, eigentlich zum 70. Geburtstag des Sängers, veröffentlicht wurde und der Verlag im Fahrwasser der Erstauflage nun die aktualisierte Fassung publizieren kann. Auch die Tatsache, dass Cockers Leben monografisch bislang unzureichend berücksichtigt wurde, lässt das Buch als längst überfällig erscheinen. Der Autor, Professor für Medien und Wirtschaft, kann auf einen umfangreichen publizistischen und journalistischen Erfahrungsschatz zurückgreifen, in dem sich zahlreiche, über die Jahrzehnte geführte Interviews mit Joe Cocker befinden. Sein Blick auf den Sänger ist wohlwollend, aber immer kenntnisreich und faktensicher. Dabei ist die Aufgabe, der Graf sich gestellt hat, durchaus ambitioniert. Es ist leicht, sich über Joe Cocker lustig zu machen: Über ungelenke Bewegungen, schütteres Haar, Alkohol- und Drogenexzesse, die intensiven, sich dem Hörer schutzlos ausliefernden Interpretationen. Schon in dem 1973 publizierten „Rock-Lexikon“ wird dieses Bild zementiert: Hoch talentiert, aber psychisch instabil und „geistig eher unbeweglich“ (Schmidt-Joos/Graves 1973; S. 77).
Gegen dieses Bild musste Graf anschreiben und er tut dies größtenteils überzeugend. Der Autor begleitet den Sänger chronologisch, führt jedoch einzelne Themen wie Drogensucht oder die Vorliebe für Cover-Versionen zeitübergreifend aus. Dieses Vorgehen ist klug, strafft und verdichtet es doch das Geschehen. Darüber hinaus legt Graf einen Fokus auf die Zeit seit den 1980er Jahren, in der es Joe Cocker gelang, auf durchgängig hohem Niveau und mit bemerkenswerter Disziplin ein gelungenes Album nach dem anderen zu veröffentlichen. Gewiss, der Glamourfaktor war gering und manche Zaungäste mögen medienwirksame Abstürze vermisst haben. Es gibt jedoch nur wenige Künstler, die über einen solchen Zeitraum diese Qualität abliefern können. Nicht alle Passagen in Grafs Biografie sind gleichermaßen gelungen: Die Aufzählung der Synonyme der Droge PCP (S. 72) oder der musikwissenschaftliche Exkurs in die Tonartenlehre (S. 20ff) wirken aufgesetzt; der Konflikt mit Leon Russell hätte sorgfältiger beleuchtet werden können. Dafür aber veröffentlicht Christof Graf mit Bühnenplänen, Tourpässen, Platten-Covern und Plakaten Bildmaterialien, die man sich in Pop- und Rockbiografien öfter wünschen würde. So ist der Autor dem Sänger letztlich gerecht geworden und hat dankenswerter Weise das Bild von Joe Cocker erfolgreich restauriert.
Michael Stapper
München, 04.05.2015