Echenoz, Jean: Ravel. Roman. Aus d. Franz. von Hinrich Schmidt-Henkel. – Berlin: Berlin Verlag, 2007. – 109 S.
ISBN 978-3-8270-0693-6 : € 18,00 (geb.)
ISBN 978-3-8333-0556-6 : € 8,99 (Pb) [2008]
Jean Echenoz, dessen letzter Musikerroman (Am) Piano 2004 erschien, zeichnet die zehn letzten Lebensjahre des großen französischen Komponisten Maurice Ravel (1875–1937) nach. Die Erzählung beginnt mit der Amerikareise: Ausgestattet mit 60 Hemden, 20 Paar Schuhen und 75 Krawatten tritt Ravel 1928 in der Luxuskabine der „France“ seine viermonatige triumphale Tournee durch die USA und Kanada an, die ihn in 25 Städte führt: Carnegie Hall, Boston, Detroit, Milwaukee, Seattle, die 53. Geburtstagsfeier mit Gershwin, Hollywood mit Douglas Fairbanks und Chaplin, das sind Stationen dieser Reise. Echenoz erzählt auch von den Begegnungen mit Paul Wittgenstein, dem kriegsversehrten Pianisten, für den Ravel sein Klavierkonzert für die linke Hand komponiert, oder von den Auseinandersetzungen mit Arturo Toscanini, weil er mit dessen Art, seine Werke zu dirigieren, nicht einverstanden ist. Er schildert den fatalen Autounfall aus dem Jahr 1932 oder die Szene, wo Ravel nach einem Badeausflug vermißt wird. All dies sind Fakten aus Ravels Leben, die Echenoz zu einer fiktiven Biographie zusammenstellt. Die Erzählperspektive ist meist die eines verallgemeinernden „man“, sie wird konkreter, wenn Ravel minutiös verschiedene Einschlaftechniken schildert, die dann aber wieder erfolglos sind, wenn man seine Aufmerksamkeit zu sehr darauf konzentriert: „Man kann eben nicht alles auf einmal machen, nicht wahr, es ist und bleibt so, man kann nicht einschlafen, während man den Schlaf beobachtet.“ (S. 102)
Dem Autor und seinem congenialen Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel gelingt es durch seinen Schreibstil, die Atemlosigkeit, die Rast- und Schlaflosigkeit dieses Lebens zu vermitteln, es wird deutlich, daß und wie Ravel während dieser Zeit schon von seiner Hirnkrankheit gefangen war, was durch die Folgen des Autounfalls dramatisch verschlimmert wurde. An welcher Krankheit Ravel litt, Morbus Pick, Demenz oder Hirntumor, ist bis heute nicht geklärt. So schildert dieser Roman nicht ein schillerndes Künstlerleben, sondern die fortschreitende Selbstentfremdung und den Realitätsverlust eines großen Komponisten. Lesenswert!
Jutta Lambrecht
zuerst veröffentlicht in FM 29 (2008), 1