Floros, Constantin: Peter Tschaikowsky. – Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2006. 157 S.: zahlr. Abb., teilw. farb. (rowohlt monographien)
ISBN 3-499-50668-8 : € 8,50
1976 hatte Everett Helm im Rahmen von „rowohlts monographien“ seine Biografie über Tschaikowsky veröffentlicht. Doch von Zeit zu Zeit müssen einzelne Bände der bekannten Taschenbuchreihe in überarbeiteter Form oder unter neuem Verfasser vorgelegt werden, weil sich der Kenntnisstand zu der vorgestellten Persönlichkeit im Lauf der Jahre grundlegend verändert hat. „Seit den 1970er Jahren nahm die Tschaikowsky-Forschung einen großen Aufschwung“, begründet Constantin Floros die Notwendigkeit einer neuen Biografie über den vermutlich populärsten russischen Komponisten und kann dabei auf die vielen Erst- und verbesserten Neuausgaben von Tschaikowskys persönlichen Dokumenten (Tagebücher, Briefe) beziehungsweise den Publikationen weiterer ihn betreffender Zeugnisse verweisen.
Im Vergleich zum älteren Titel spielt nun die lange Zeit möglichst verschwiegene oder zumindest nur angedeutete Homosexualität des Komponisten eine wesentlich größere Rolle – und dies zu Recht: Viele Besonderheiten seines Lebensweges erklären sich aus diesem gesellschaftlich geächteten Makel. Selbst die seltsamen Umstände um Tschaikowskys Tod könnten damit zusammenhängen, und während Helm seinerzeit die Geschichte vom unabgekochten Trinkwasser und der darauf folgenden Cholerainfizierung als unhinterfragtes Faktum wiederholte, greift Floros auf die inzwischen veröffentlichten Untersuchungen zurück: Demnach ist es nicht auszuschließen, dass es sich um einen erzwungenen Selbstmord gehandelt hatte, der seinerseits mit Tschaikowskys Homosexualität zusammenhing.
Die Grundstruktur des neuen Bandes bleibt dem Konzept der Reihe treu: Auf den Textteil folgen eine Zeittafel, eine Auswahl von Zeugnissen namhafter Persönlichkeiten über Tschaikowsky, das (allerdings sehr knappe und nur auf die wichtigsten Kompositionen beschränkte) Werkverzeichnis, Bibliographie und Namensregister. Und doch gibt es einige markante Veränderungen: Dies beginnt bereits beim Bildmaterial, das gegenüber dem Vorgängerband deutlich reduziert, jetzt aber vielfach farbig reproduziert worden ist (als Konsequenz musste man nun besseres Papier verwenden). War Helm in der Lebensbeschreibung an den entsprechenden Stellen kursorisch auf Tschaikowskys Werk eingegangen, widmet sich Floros zuerst der Biografie und dann dem nach einzelnen Gattungen aufgeteilten kompositorischen Schaffen; dadurch erhält dieser Bereich (ergänzt durch wenige Notenbeispiele) mehr Bedeutung. Obwohl beide Bände nahezu den gleichen Seitenumfang besitzen, enthielt derjenige von Helm wesentlich mehr Text (größerer Satzspiegel mit deutlich engerem Druckbild). Dies entscheidet natürlich nicht über die Qualität, scheint aber (ebenso wie die farbige Bebilderung) dem aktuellen Trend – verminderte Leseausdauer und optischer Anreiz – geschuldet zu sein.
Die Verlagsreihe erhebt natürlich nicht den Anspruch, neue, oder gar sensationelle Erkenntnisse zu vermitteln: Die generell soliden Biografien sollen auch dem fachlich nicht vorgebildeten Publikum die nötigen Informationen verständlich vermitteln, was man Floros – zudem auf neuem Forschungsstand – uneingeschränkt zubilligen muss. Dennoch sollte Helms Arbeit nach einer Neuanschaffung nicht automatisch ausgeschieden werden – auch die Biografik ist eine historische Wissenschaft, die davon lebt, alte und neue Forschung vergleichen zu können.
Georg Günther
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 390f.