Hans-Günther Bastian und Wilfried Fischer: Handbuch der Chorleitung

Chorleitung CoverBastian, Hans-Günther und Wilfried Fischer: Handbuch der Chorleitung. Chorlei­tung – Theorie und Praxis. – Mainz: Schott, 2006. –442 S.: zahlr. Notenbeisp. u. Illustr.
ISBN 3-7957-5785-1 : € 39,95 (kt.)

Kaum eine musikalische Disziplin setzt Kenntnisse in so vielen unterschiedlichen Fachgebieten voraus wie das Dirigieren, insbesondere das Chorleiten angefangen vom Dirigieren selbst, über das Singen und Klavierspielen bis zur Gehörbildung, Musikge­schichte und letztlich zur Grundkenntnis der „Menschenführung“. Wer deshalb ein Handbuch über Chorleitung schreiben will, muß viele Schubladen füllen sowie eine diversifizierte Sammlung unterschiedlichster Themengebiete in komprimierter Form verständlich aufbereiten.
Hans-Günther Bastian und Wilfried Fischer ist dies mit der vorliegenden Neuer­scheinung überzeugend gelungen, die nicht nur die „klassischen“ Gebiete des Chor­leitens beinhaltet (Dirigiertechnik, Probenmethodik), sondern ein weites Umfeld ein­bezieht, z.B. „Theorie und Praxis des Chorlebens“ (Bemerkungen zur Kulturpolitik, Gründe des Singens, Singen mit Kindern, Chorpsychologie, Konzertvorbereitung, GEMA-Vorschriften, Chormanagement u.a.m.). In diesem Buch ist alles enthalten, was ein angehender Laienchordirigent wissen muß; das allermeiste ist im Selbststudi­um bestens zu erlernen und verständlich dargelegt. Sehr erfreulich sind die Aufnahme einer Literaturliste oder die Hinweise auf Chormusik im Internet.
Dennoch seien einige knappe fachliche Anmerkungen erlaubt:
Im zentralen Bereich Schlagtechnik feiern die alten Schlagfiguren-Zeichnungen von Kurt Thomas wieder fröhliche Urstände. Das Vorbild Kurt Thomas aus den Fünf­zigern ist zwar historisch sehr verdienstvoll, hat sich aber in den vergangenen Jahren in den meisten Chorleitungsklassen als überholt erwiesen, mußte doch schon Kurt Tho­mas in einem Folgeband erklären, daß man damit z. B. kein Instrumentalensemble di­rigieren kann (er schrieb einen Zusatzartikel über Orchesterdirigieren) – und das ist in der Chormusik beileibe keine Seltenheit. Es wäre deshalb wohl auch in diesem Band hilfreicher gewesen, auf neuere Erkenntnisse zurückzugreifen, ähnlich wie sie z.B. im Kapitel Chorleitung in „Studieren und Probieren“ (Strube) publiziert sind.
Was hier dem als Zielperson avisierten Laien über Dirigieren vermittelt wird, ist zwar alles richtig, aber in der eigenständigen Umsetzung unnötig verwirrend. Denn auch Bastian und Fischer benötigen einen eigenen Absatz zum Orchesterdirigat, um hier zwar zu erklären, daß es im Prinzip zwischen Orchester und Chor keinen heraus­ragenden Unterschied im Dirigat gibt, man müsse aber deutlicher taktieren. Die Fra­ge ist nur: Auf welcher Grundlage? Auf Basis der zuvor demonstrierten Kurt-Thomas-Figuren sicher nicht.
Wenn man denn – dem Zwang zu einem umfassenden Handbuch folgend – auch das Dirigieren mit Taktstock einbezieht, dann reicht es nicht, u.a. darauf zu verwei­sen, daß Bruno Walter meint, mit Taktstock sei einem Orchester im Blick auf Deut­lichkeit mehr gedient. Wenn man denn schon das Kapitel Taktstockdirigieren einfügt, dann müssen wenigsten die wichtigsten Anweisungen (Text und Bild) zum Umgang mit demselben enthalten sein, damit das berühmte „Fuchteln“ vermieden wird (Wie halte ich den Taktstock? Wo ist der dirigentische Tief- bzw. Klangpunkt? Wo liegen die Gefahren?).
Gelegentlich kommt der Tonfall des Buches – bei allem Bemühen um praxisnahe Verständlichkeit – doch etwas hemdsärmlig daher, wie z.B. im Vorwort – sinngemäß – gleich im zweiten Satz darauf hingewiesen wird, man erfahre als Profi in diesem Buch nichts Neues und schenke das Buch deshalb möglichst an Laien weiter…
Derartige Plattitüden hätte der Band gar nicht notwendig, denn den beiden Auto­ren ist alles in allem ein wirklich profundes und umfangreiches Lern- und Nachschla­gewerk gelungen, in dem – abzüglich der o.g. Diskussionspunkte – kaum eine Frage zur Chorleitung nicht beantwortet wird, ein Buch, das man jedem angehenden Chor­leitern gerne weiter empfiehlt.

Reiner Schuhenn
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 406 f.

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