Nieswandt, Hans: Disko Ramallah – und andere merkwürdige Orte zum Plattenauflegen – Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2006. – 224 S.
ISBN 3-462-03668-8 : € 8,95 (Pb.)
Disko Ramallah ist das zweite Buch von Hans Nieswandt und es ist, so wie der 2002 erschienene Titel plus minus acht, der Profession des Schallplattenabspielens gewidmet, die der Autor seit vielen Jahren ausübt. Kann ein Diskjockey mit der gleichen Virtuosität wie er die Nadel aufs Vinyl setzt auch wohlformulierte Sätze auf die Festplatte bannen und kommt ein lesenswertes Buch dabei heraus? Ja, wenn er, wie Nieswandt, bereits über reiche Erfahrungen als Popjournalist verfügt. In den 90er Jahren war Nieswandt als Redakteur des Musikmagazins Spex tätig und konnte dort seinen Ruf als Kenner und Könner festigen. Die Szene präsentierte sich familiär und im Heft veröffentlichten Rezensionen des Autors trugen dann schon mal die Urheberangabe „Papa Nieswandt“.
Wenn Papa auf Reisen geht ,kann er was erzählen! Nieswand berichtet in „Disko Ramallah“ umfangreich über Erlebnisse, die ihm als „Botschafter für deutsche elektronische Musik“ auf Einladung des Goethe-Instituts 2004 im Nahen Osten widerfuhren. Aufgrund fehlender technischer Ausstattung vor Ort mußte DJ Nieswandt seine Ausrüstung mitnehmen und in einer großen Kiste mühsam im Lande transportieren. Dazu schreibt er: „Ich nannte die Kiste: den Sarg. (…) Ich würde ihn mit mir herumschleifen wie DJango und dabei großes Aufsehen erregen…“ (S. 45). Der Leser des Buches genießt den sprachgewandt-intelligenten Plauderton, mit dem der Autor, oft mit angenehmer Selbstironie, berichtet. Papa Nieswandt zeigt sich dabei unverkennbar als Kind seiner Zeit, z.B. wenn er über seine Wanderungen durch Alt-Jerusalem schreibt: „Überall im düsteren Labyrinth öffneten sich enge, niedrige Durchgänge wie in einem Computerspiel.“ (S. 74)
Die Probleme, die einem Repräsentanten westlich-dekadenter Popmusik in der arabischen Welt, in Palästina, Gaza-Stadt und Ramallah entgegenstehen, werden lapidar und anschaulich geschildert. Politische Analysen zum israelisch-arabischen Konflikt sollte man nicht erwarten. Auch aus weniger konfliktüberladenen Regionen berichtet der Autor in seinem Buch: aus Köln, Düsseldorf, Hamburg, Salzburg, Frankfurt, Amsterdam und Rio de Janeiro. Die tagebuchartige Darstellung ist pointiert und unterhaltsam, sie ist, wie ein Freund umgangssprachlich ausdrückte „nicht so blöde ambitioniert und gestelzt und gedrechselt“. Dies mag darin begründet sein, daß Nieswandt sich zwar als selbstbewußter Handwerker präsentiert, dankenswerterweise aber darauf verzichtet, sich als genialer Künstler zu überhöhen und in Selbststilisierung zu ergehen, so wie es DJ-Kollegen wie Maximilian Lenz alias WestBam praktizieren.
Empfehlenswert ist Nieswandts Buch auf jeden Fall. Freunde zeitgenössischer Popkultur werden es schätzen und sich über die Auflistung von Plattensets für diverse Anlässe freuen, die sich auf den letzten Seiten findet.
Manfred Miersch
Zuerst veröffentlicht in FM 27 (2006), S. 401f.