Heinemann, Rudolf: Zuzana. Triumph und Tragik einer großen Pianistin. Roman – Hamburg: tredition, 2014. – 304 S.
ISBN 978-3-8495-8905-9 : € 16,80 (Pb.; auch als e-Book)
Wer jahrzehntelang in Kultur und Medien gestaltend aktiv war, verewigt sich gerne in Memoiren und Autobiographien. Nicht weniger Neugier aber provoziert derjenige, der sich vom Anspruch des Faktischen verabschiedet und Erfahrungen aus beruflichem Metier zu belletristischen Inspirationen verarbeitet. Dass also Rudolf Heinemann, 1978 bis 2003 Musikredakteur beim WDR Köln, in seinem zweiten, gegenüber Uraufführung nur noch begrenzt satirischen Erzählwerk auf unvermeidlich real Erlebtes zurückgreifen muss, belegt bereits das annoncierte Sujet: Im Oktober 1989 begleitet das WDR Sinfonieorchester in der Kölner Philharmonie die – erfundene – tschechische Weltklassepianistin Zuzana Massic, Jahrgang 1957. Ihre Bekanntschaft macht per Zufall der ebenfalls fiktive WDR-Fernsehdirektor Bruno Tormack. Seit Jahren Witwer und in Liebesdingen zurückhaltend, zieht es ihn magnetisch zu der Ausnahmekünstlerin hin – so weit, dass er sich dienstlich zu verzetteln droht. Denn gerade jetzt fordern aktuelle Entwicklungen in der DDR das wachende Auge des Programmverantwortlichen. Und welche Schatten die Ereignisse im Osten vorauswerfen, erfährt Bruno im Telefonkontakt mit seinem Studienfreund Attyla von Staden, Intendant der Deutschen Oper Berlin und dritter Phantasie-Protagonist einer folgenreichen Beziehungskette. Denn von solch publicitysüchtigem Egomanen und notorischem Frauenverführer hat sich der bodenständige Politjournalist mental längst entfremdet.
Schnell rekapituliert, nicht ohne hergebrachte Handlungsklischees ist das äußere Geschehen: Nach dem Kölner Konzert nutzt Tormack eine ARD-Sitzung in München zu einer weiteren Begegnung mit dem Star. Man versteht sich, fühlt sich verstanden und im Berufsstress auch menschlich aufgefangen. Nach weiteren Dates an Europas Konzertstätten nimmt Zuzana Brunos Heiratsantrag an. Doch im Rausch von superlativisch zelebrierten Triumphen dräuen zugleich erste Menetekel der im Untertitel pathetisch beschworenen Tragik herauf: Musik und Beruf sind Zuzanas Lebensmittelpunkt. Auch ihren Wiener Wohnsitz will sie nicht missen. Überschattet ist ihre gerühmt uneitle, von divenhaften Allüren freie Wesensart auch durch zwei Kindheitstraumata: die Entzweiung von der nur züchtigend erlebten Mutter, die nebulöse Vorgeschichte des ihr ansonsten zugewandten Vaters, der als hoher Funktionär nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 unter ungeklärten Umständen die Heimat verließ und dort Persona non grata bleibt – eine Hypothek, die Zuzana zumal bei Gastspielen im sozialistischen Osten zu schaffen macht. Trotz aller Hindernisse könnte die unkonventionelle Ehe durchaus funktionieren. Wäre da nicht jener Attyla von Staden.
Rapide wendet sich das Blatt: Auf Attylas illustrer Party zum Fünfzigsten erliegt auch Zuzana definitiv seinem oberflächlichen Charme und glaubt an seiner Seite den Einstieg ins wahre Leben mit seinen auch sinnlichen Seiten gefunden zu haben. Und nun wird ihr – Amour fou nach allen Regeln der Kunst – ihre emotionale Labilität zum Verhängnis: Bald schon entledigt sich Attyla auch ihrer, dient sich kriecherisch empor zum imperialen Berliner Generalintendanten und wäscht seine Hände in Unschuld. Zuzana und Bruno dekompensieren völlig …
Ein Philosophieren über „Hätte“, „Könnte“, Schuld oder gesellschaftskritische Botschaften bleibt Aufgabe des Lesers. Heinemann favorisiert ein lesefreundlich arrangiertes Geschehen, das skurril mit erfundenen Figuren (zu nennen auch Zuzanas Agent und Betreuerin oder WDR-Dirigent Wladimir Bezalsky) und authentischem Personal jongliert. Aus dessen Pool agieren unter vielen anderen Giuseppe Sinopoli, Kurt Masur, Carlos Kleiber, Justus Frantz, Joachim Kaiser wie auch Gerd Ruge oder Richard von Weizsäcker.
Das eigentlich Spannende, Individuelle aber liegt im Informationsgehalt der Episoden, Exkurse und – nach Realismusmaßstab – recht elitär formulierten Dialoge: Zuzanas Künstlerprofil mit persönlichen Auffassungen zur Partiturauslegung und Repertoiregestaltung, ihrem gecoachten Erscheinungsstil vor Publikum oder ihrem dank Bruno entkrampften Verhältnis zur Fachpresse. Einblicke in Musikidiome der weltweiten Tourneeländer stehen neben Gagen-, Vertrags- und Honorarfragen der Klassikbranche sowie politischen, personellen und finanziellen Spannungsfeldern im öffentlich-rechtlichen Apparat.
Insgesamt eine kaleidoskopische Lektüre, die in Lightversion Ingredienzien des Künstler- und Eheromans mit episch-biographischer Lebensgeschichte sowie Milieustudien des Musik- und Medienbetriebs abmischt – nostalgieweckend durch einen Bogen von den Wendejahren bis Punkt 09/11.
Andreas Vollberg
Köln, 07.09.2014