Morricone, Ennio und Sergio Miceli: Composing for the Cinema. The Theory and Praxis of Music in Film / Ins Engl. übers. von Gillian B. Anderson. – Lanham [u.a.]: The Scarecrow Press, 2013. – XIV, 295 S.: s/w-Abb., Filmographie, Bibliographie, Register
ISBN 978-0-8108-9241-5 : ₤ 27,95 (kart.; auch als e-book erhält.)
Zwischen 1991 und 2000 fanden in Siena, Basel und Fiesole mehrere Seminare zum Thema Filmmusik mit dem namhaften Komponisten Ennio Morricone und dem Musikwissenschaftler Sergio Miceli statt. Das vorliegende Buch basiert auf den Transkriptionen von Aufnahmen ausgewählter Passagen aus diesen Veranstaltungen. Dabei handelt es sich um zwei einführende Kapitel von Miceli zur Theorie der Filmmusik sowie um daran anschließende Gespräche zwischen Morricone und Miceli, die hauptsächlich praktische Fragen vom ersten Kontakt zwischen Regisseur und Komponist über die Auswahlkriterien bei der Komposition bis hin zu grundlegenden Problemen bei der Aufzeichnung und der finalen Einspielung der Filmmusik betreffen. Ein abschließendes Kapitel versammelt die Fragen der Seminarteilnehmer und die Antworten der beiden Dozenten.
Der von Laura Gallenga herausgegebene und von Gillian B. Anderson ins Englische übersetzte Band versteckt die Spuren dieser Genese nicht und lässt den sprachlichen Duktus der überwiegend mündlichen Kommunikation unangetastet, so dass die Zusammenstellung der Texte oftmals bemüht und langatmig wirkt. Hinzukommt, dass Micelis Einlassungen zur Theorie der Filmmusik sehr eigenwillig und gespreizt daherkommen, die Forschungen der letzten Jahrzehnte gänzlich ignorieren und – trotz Verweis auf zahlreiche Beispiele – sich selten zu substantiellen Aussagen verdichten.
Das wird allerdings mehr als wettgemacht durch Morricones überaus souveräne und auf seine reiche Erfahrung zurückgreifende Ausführungen, mit denen er auf Micelis theoretischen Überblick reagiert: Die persönlichen Konflikte zwischen Produzenten, Editoren, Regisseuren und Komponisten bei der Arbeit im Filmgeschäft sowie ihre Ursachen und Hintergründe hat der Leser selten so konkret, ungeschminkt und lakonisch erzählt bekommen. Und Morricones Erläuterungen zu seiner Filmmusik – überwiegend dargestellt anhand konkreter Filmausschnitte – bringen so manches musikwissenschaftliche Theoriegebäude in Sachen medialer Interaktion mühelos zum Einsturz, denn Morricone kann anders als viele seiner Kollegen über seine Kompositionen und die dazugehörigen Filme ungemein präzise, kompetent und analytisch reflektiert sprechen. Für viele Leser dürfte dabei überraschend sein zu erfahren, dass Morricone, der vielen Filmen maßgeblich seinen klanglichen und musikalischen Stempel aufgedrückt hat, grundsätzlich von einer Vielfalt von möglichen filmmusikalischen Lösungen ausgeht, dass es somit für ihn keineswegs jeweils nur ein einziges Verfahren gibt, einen Film mit Musik zu versehen. Seine Überlegungen hinsichtlich der jeweiligen kompositorischen Entscheidung sind ungemein aufschlussreich und zeigen deutlich, wie unzureichend die Theoriebildung bezüglich der Funktion von Musik im Film derzeit immer noch ausfällt.
Verdienstvoll – und nachahmenswert – ist, dass die im Buch angesprochenen Filmausschnitte ins Netz (YouTube) gestellt wurden und die Filmographie des Buches auf diese Stellen verweist, so dass bei der Lektüre (Internetzugang vorausgesetzt) ein Nachvollzug der Aussagen jederzeit möglich ist.
Markus Bandur
Berlin, 07.05.2014