Karl Löbl: Der Balkonlöwe; Nach den Premieren [Peter Sommeregger]

Löbl, Karl: Der Balkonlöwe. 60 Jahre mit den Prominenten aus Oper, Theater und Fernsehen – 216 S.: Abb.
ISBN 978-3-902424-00-1
Löbl, Karl: Nach den Premieren. Mein Leben in und mit der Oper – 273 S.: Abb..
ISBN 978-3-902924-06-3
Wien: Seifert, 2013. -  je € 24,90 (geb.)

Der im Januar 2014 verstorbene Musikjournalist und Kritiker Karl Löbl (1930-2014) war eine Wiener Institution, durch seine Fernsehauftritte im Anschluss an Opernübertragungen aus einer Loge am Balkon der Wiener Staatsoper auch einem breiteren ausländischen Publikum bekannt. Schon in jungen Jahren hatte Löbl eine erstaunliche journalistische Karriere gemacht, für die Boulevardblätter BILD-TELEGRAF, EXPRESS und später KURIER bevorzugt über Musik mit dem Schwerpunkt Oper berichtet. Der Coup seiner jungen journalistischen Laufbahn gelang ihm 1956, als er in einem Interview den Star-Dirigenten und damaligen Operndirektor Karl Böhm zu einer höchst undiplomatischen Äußerung verleitete, die nur Tage später die Demission Böhms zur Folge hatte. Ab dem Jahr 1968 moderierte er eine erfolgreiche Radio-Sendung „Lieben Sie Klassik?“, die 28 Jahre lang zu seiner Popularität beitrug. Ab 1980 war er für längere Zeit Chef der Kulturabteilung beim Österreichischen Fernsehen. Seine unbestreitbare Kompetenz machte ihn bei seinen Lesern und Hörern beliebt, bei Künstlern war sein Urteil gefürchtet, gleichzeitig schätzte man aber seine Fairness und Sachlichkeit. Erst am Ende seines Lebens, als durch eine Krebserkrankung seine Lebenszeit schon sehr limitiert war, entschloss sich Löbl, einen Teil seiner Erinnerungen in Buchform zu veröffentlichen. Die Arbeit an den hier besprochenen Bänden, sowie einem Buch über Herbert von Karajan geriet so buchstäblich zu einem Wettlauf mit dem Tod. Dieser Tatsache ist es wohl auch geschuldet, dass es zwei, und nicht nur ein Band wurden: Löbl konnte nicht sicher sein, noch den Atem für eine längere Arbeit zu haben. Dass es ihm doch gelungen ist, beschert uns Lesern viele interessante Schilderungen eines Zeitzeugen von kulturellen Ereignissen und Entwicklungen von der Nachkriegszeit bis in das beginnende neue Jahrtausend. Mit nicht wenigen der erwähnten Künstler waren Karl Löbl und seine Frau, die auf Interviews spezialisierte Hermi Löbl, persönlich befreundet. Dass dies nicht zu Interessens-Kollisionen führte, ist ein Beleg dafür, dass Diskretion und Loyalität einerseits und objektive Berichterstattung andererseits sich nicht ausschließen müssen. Es spricht für die Qualität von Löbls Arbeit, dass er trotz zeitweiliger fast übermächtiger medialer Präsenz nur selten Angriffen ausgesetzt war.
In beiden Bänden wechseln persönliche Reflexionen und autobiographische Ansätze mit zumeist pointierten Würdigungen von Weggefährten, aber auch berühmten Musikern; fast alle bedeutenden Interpreten seiner Zeit finden Erwähnung, und fast immer kann der Autor auf persönliche Eindrücke zurückgreifen. Löbl vermeidet weitgehend nostalgische Schwärmerei, auch aktuelle, noch junge Karrieren finden bei ihm Erwähnung. und er wagt auch eine leise Kritik an der Besetzungspolitik des gegenwärtigen Operndirektors Dominique Mayer.
Diese Erinnerungsbücher sind keineswegs nur für österreichische Leser interessant, dreht sich doch der internationale Musikbetrieb letztlich um die immer gleichen Stars und großen Namen. Die mehrere Jahrzehnte umfassende Beschäftigung Löbls mit Oper und Sängern ermöglicht ihm reizvolle Interpretationsvergleiche und Reflexionen über kulturelle Entwicklungen allgemein. Viele der erwähnten Sänger werden in Kurzbiographien vorgestellt, die jeweils auch die in Wien gesungenen Rollen nennt. Generationen von Sängern hat Löbl kommen und gehen sehen, sein sicheres Urteil ist auch in der Rückschau bewundernswert, ebenso wie die Kunst, kurz und prägnant zu urteilen und zu formulieren. An manchen Stellen wünschte man sich, Löbl hätte deutlichere und energischere Formulierungen benutzt, hätte da und dort auch stärkere Kritik, zum Beispiel an der negativen Entwicklung des so genannten Regietheaters geübt – aber er blieb sich und seinem versöhnlichen, niemals beleidigenden Stil bis zum Ende treu. Menschen seines Erfahrungshorizonts hinterlassen Lücken, die nicht mehr zu schließen sind. Die beiden Bände, die viele Erinnerungen an große Opernereignisse der letzten Jahrzehnte wachrufen, sind praktisch ein selbst verfasster Nekrolog auf einen Großen seiner Zunft.

Peter Sommeregger
Berlin, 04.05.2014

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