…als Paul McCartney mich anrief. Mein erstes Musikerlebnis / Hrsg. von Cornel Wachter. – Leipzig: Seemann Henschel, 2014. – 191 S.
ISBN 978-3-86502-320-9 : 14,95 € (geb.)
Im berühmten FAZ-Fragebogen werden Prominente nach ihrer Lieblingsmusik befragt, die Neue Musikzeitung will von Persönlichkeiten des Kulturlebens in ihrer Fragebogenrubrik unter anderem wissen, welche Musik bei ihrer Beerdigung erklingen sollte. Den (Stein-) Bildhauer und Maler Cornel Wachter – auch Kunstpreisträger der Stadt Köln – trieb Ähnliches um. Er hat in einem lesenswerten Buch über 200 mehr oder weniger bekannten Zeitgenossen auf den Zahn gefühlt und sie gebeten, ihm ihr musikalisches Schlüsselerlebnis zu schildern. Leider hat sich Paul McCartney nicht detailliert geäußert, es ist nur ein telefonischer Rückruf ohne Ergebnis dokumentiert; immerhin kam so das Buch aber zu seinem originellen Titel. Wachter versammelt kaleidoskopartig Bildungsbürger aller Altersgruppen: Janosch oder Loriot (dessen Text allerdings als einziger einem früheren Interview entnommen ist) als Elder Gentleman äußern sich genauso wie jüngere Zeitgenossen (Julian Prégardien, Daniel Hope oder Omer Meir Wellber). Beileibe nicht alle sind Musiker (wie der Werbetext auf dem hinteren Buchdeckel fälschlicherweise mitteilt), die Klientel rekrutiert sich aus dem Bekannten- und Freundeskreis und nicht wenige bekennen sich dazu, keine Noten lesen zu können wie z. B. der Gründer des Labels Naxos, Klaus Heymann, oder so mancher Theaterregisseur und –schauspieler. Das Spektrum der Berufe ist demzufolge breit: Wachter befragte Ärzte, Psychotherapeuten, Juristen, Autoren, Kabarettisten oder Journalisten ebenso wie Berufsmusiker jeglicher Couleur. Interpreten (Anna Netrebko, Johanna Koslowsky, Sir Peter Jonas) und Komponisten der sogenannten E-Musik (Michael Denhoff, Peter Eötvös) sind genauso vertreten wie Liedermacher (Reinhard Mey, Bettina Wegner, Herman van Veen), Sänger aus der Operette (Dagmar Koller) oder der Sparte Unterhaltung (Florian Silbereisen, Frank Zander) sowie Jazzer und Punkrocker.
Viele stammen aus einem musikalischen Elternhaus und wurden entsprechend sozialisiert: die musikalische Früherziehung, der private Musikunterricht oder Konzertbesuche so es sie gab, spielten eine wichtige Rolle. Manchmal war es auch nur die heimische Musiktruhe der 50er und 60er Jahre, die den Zuhörern („Achtung, hier spricht Radio Beromünster“) mehr oder weniger exotische Musikerfahrungen verhieß und Lust auf mehr weckte. Und im einigen Fällen vermochten sogar absolut unfähige Musiklehrer (so z. B. bei John McLaughlin), deren Repertoire an Strafmassnahmen ihrem pädagogischen Fundus in nichts nachstanden, die Liebe zur Musik kaum zu dämpfen. Die Stellungnahmen reichen von ganz kurzen Statements bis hin zu längeren Ausführungen (Roger Willemsen benötigt 5 Seiten) und sie lesen sich allesamt sehr vergnüglich.
Wenn auch die eine oder andere Rückbesinnung mit Sicherheit in der Erinnerung verklärt scheint, kommt die Botschaft doch an: frei nach Loriot ist ein Leben ohne Musik möglich, aber sinnlos. Lediglich das Layout lässt zu wünschen übrig. Hellblaue Buchstaben auf weißem Papier sind eigentlich eine Zumutung für die Augen, die biografischen Angaben zu den Befragten sind bisweilen etwas dürftig und durch die Farbe und verkleinerte Schrift kaum noch lesbar. Schade, aber nicht zu ändern. Trotzdem eine anregende Lektüre und ein schönes Geschenk.
Claudia Niebel
Stuttgart, 01.05.2014