Graf, Kathrin: Sängerische Begabung. Perspektiven auf einen künstlerischen Beruf. Eine Studie. – Wiesbaden [u.a.]: Breitkopf & Härtel, 2013. – 112 S.: Tab. (Wege – Musikpädagogische Schriftenreihe ; 25)
ISBN 978-3-7651-9926-4 : € 19,80 (kart.)
„Was ist eigentlich eine sängerische Begabung?“ lautet die Frage, mit der Kathrin Graf ihre Studie einleitet und die zugleich die Ausgangsfrage der Studie ist. Als Konzert-Sopranistin und Gesangsdozentin der Musikhochschule Zürich hat Kathrin Graf immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sängerische Begabung nicht so leicht zu fassen ist. Viele Studenten empfindet sie als begabt, doch manchen fehlt das gewisse Etwas, das so einfach nicht zu definieren ist. Zudem kommt es vor, dass bei der Aufnahmeprüfung als besonders begabt eingestufte Sänger und Sängerinnen dann doch keine Karrieren machen. Ebenso werden manche Begabungen nicht erkannt und erst im oder gar nach dem Studium kommt eine ungeahnte Entwicklung in Gang. Diese und noch weitere sich daraus ergebende Fragen waren der Anlass für die Autorin, eine Studie zu starten und Antworten zu finden.
Graf gliedert die Studie in zwei Teile: Der erste aus drei Kapiteln bestehende beruht auf Expertenbefragungen und auf Auseinandersetzung mit der vorhandenen Fachliteratur. Als Ergänzung dazu fügt die Autorin einen zweiten Teil an, in dem die sängerische Begabung aus der Sicht ehemaliger Studierender beurteilt wird. Anhand eines Fragebogens wurden berufliche Tätigkeitsfelder, Erfolg und Begabtenentfaltung sowie die dafür notwendige Qualität der Begabung, Hindernisse und eine Selbsteinschätzung rückgemeldet und von der Autorin kommentiert. Als besonders hilfreich für die zukünftige Praxis erschien mir die Rückmeldung an die Hochschule, was zur besseren Erreichung der Ziele hätte beitragen können.
Für jeden, der Gesang studieren möchte oder lehrt, ist dieses Buch ein echter Gewinn. Die im ersten Kapitel des ersten Teils zusammengetragenen Facetten, die eine sängerische Begabung für den klassischen Gesang ausmachen, zeichnen ein recht vollständiges Bild, an dem sich ein jeder gut orientieren kann: Neben einer „guten Stimme“ ist ein Instinkt, etwas daraus zu machen ebenso unabdingbar wie körperliche Voraussetzungen (Kehlkopf, Stimmbänder, Muskulatur, Rachen, Gaumen, Beckenboden….), Gedächtnis, Gehör und Rhythmusgefühl sowie Musikalität, eine Affinität zu Sprache, besondere Persönlichkeitsmerkmale wie Kommunikationstalent, Präsenz, Ausstrahlung, Erlebnisfähigkeit und emotionaler Ausdruck. Last but not least sind psychische Qualitäten von großer Bedeutung.
Wie schwierig es ist für die Dozenten, zu Beginn eines Studiums zu beurteilen, wie sich der/die Studierende entwickeln wird und wie es beruflich weitergeht, ist Inhalt der beiden weiteren Kapitel des ersten Teils. Insbesondere Lehrende finden hier Anhaltspunkte, Eignungsprüfungen und Studien zu beurteilen und zu begleiten.
Dieses (für Studien ungewöhnlich kurzweilige) Buch ist ein echtes Muss für alle, die sich mit Gesang und/oder Musikpädagogik beschäftigen, denn selbst für Instrumentalisten finden sich einige wesentliche Hinweise im Hinblick auf Begabung und Entwicklung.
Barbara Wolf
Heidelberg, 03.11.2013