Sabine M. Gruber: Mit einem Fuß in der Frühlingswiese. Ein Spaziergang durch Haydns Jahreszeiten mit Sprachbildern von Nikolaus Harnoncourt

Gruber, Sabine M.: Mit einem Fuß in der Frühlingswiese. Ein Spaziergang durch Haydns Jahreszeiten mit Sprachbildern von Nikolaus Harnoncourt. Ill. von Tomek Luczynski. – St. Pölten: Residenz, 2009. – 144 S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-7017-1517-6 : € 14,90 (kart.)

Wie sag’ ich’s den Choristen? Jeder, der in die Erfahrungswelt der Einstudierung komplexer Chorwerke eingedrungen ist, findet sich in dieser reizvollen Veröffentlichung wieder. Man sieht die Autorin vor sich, wie sie akribisch auf dem spärlichen Platz eines Klavierauszuges nicht etwa wichtige Informationen einer durch Singen unterbrochenen Unterhaltung mit der Sitznachbarin unterbringt, sondern aufschreibt, was der Meister am Dirigentenpult zu den musikalischen Passagen anzumerken hatte. Wie hält man einen Chor konzentriert? Das Bild eines eifrigen Reiters drängt sich auf, der durch sanften Schenkeldruck, Gewichtshilfen und hie und da eine halbe Parade die Aufmerksamkeit des willigen Tieres am Laufen hält. Ab und an muss es auch mal mehr sein. Dann benötigt der Reiter die ganze Parade und der Dirigent ein Bonmot. Ein schlagkräftiger Vergleich, die ultimative überraschende Anweisung, legt die Reserven der Choristen frei. Und diese hat die Autorin aufgeschrieben. Somit dürfen wir in der vorliegenden Veröffentlichung den Entwicklungsstufen einer musikalischen Arbeit folgen und das übende Team belauschen. Das Werk Die Jahreszeiten von Joseph Haydn ist so voller herausfordernder Details, Stimmungen und Farben, dass der gesprochene Text in Verbindung mit der musikalischen Sprache viel Aufmunterung benötigt, um zu spielen, zu singen und dem Hörer näher zu bringen, was der Komponist gemeint haben muss, wenn er sich mittels Nutzung der landläufigen Notation daran gemacht hat, das Große und Ganze einzufangen. Sehr viele dieser Aufmunterungen wurden in dieses Büchlein aufgenommen. So lautet der vertiefende Hinweis zur Textzeile Welche Freude, welche Wonne: „Seit dem Bestehen der Welt ist das so: Frauen wollen tanzen, Männer wollen saufen. Ja, Männer wollen verschiedene andere Sachen auch, aber … tanzen wollen sie NICHT. Sie haben sich aus zwielichtigen Gründen dazu überreden lassen. Das muss man hören!“ (S. 38) Und an anderer Stelle zum Text Frohlocket ja nicht allzu früh: „Singts da bisschen gemein. Stellts euch vor, ihr seids Wintersportler – die sind natürlich gegen den Frühling.“ (S. 33) In dieser Weise ausgerüstet, den Vergleich mit dem anderen Opus Magnum, der Schöpfung, nicht scheuend, wandert die Autorin mit dem Leser durch die Wechselfälle des Lebens. Einfühlsam verdeutlicht sie die Nähe zwischen den jahreszeitlichen Gegebenheiten des Zirkels der Natur und dem großen Wurf eines jeden Lebens. Ein launiges Büchlein, ideal für alle Musikliebenden, denen ein kleiner Schubs in ein Mehr an Wahrnehmung für musikalische Darbietungen gut tut. Hübsch gemacht, nett verpackt. Ein ideales Geschenk. Lesenswert.

Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 30 (2009), S. 346

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