Rolf Fath: Reclams Lexikon der Opernwelt in sechs Bänden. – Stuttgart: Reclam, 1998. – Insgesamt 3.112 S. (Bd. 1: 509 S; Bd. 2: 488 S.; Bd. 3: 555 S.; Bd. 4: 554 S.; Bd. 5: 509 S.; Bd. 6: 497 S.)
ISBN 3-15-030018-5 : DM 98,00
Nach Reclams Opernlexikon (1989), Reclams Opernführer (1997) und Reclams Opern CD-ROM (1997) [Besprechung in FM 1998, S.203f.; Anm. d. Red.] legt Fath jetzt noch ein Nachschlagewerk zu diesem Thema vor. Da dieses nicht nur mit den eigenen sondern auch mit anderen aktuellen Veröffentlichungen seiner Preisklasse konkurrieren muß, fragt man sich unwillkürlich, warum der Verlag nicht die lediglich überarbeitete Neuauflage eines der genannten Vorgänger herausgebracht hat. Faths sechsbändiges Opus folgt ohnehin derselben Konzeption wie das ältere Opernlexikon, da hier wie dort alle denkbaren Suchbegriffe zum Themenbereich “Oper” alphabetisch wie in einem Kreuzregister nachgewiesen werden: Personenartikel (Komponisten, Librettisten, Sänger/-innen, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbildner), Rollennamen (u. a. Erik aus Wagners Fliegendem Holländer oder Zerlina aus Mozarts Don Giovanni), Verlage, Beiträge zu Ländern, Regionen bzw. Städten und schließlich wichtige Fachbegriffe (z. B. Befreiungsoper, Briefszene, Imbroglio, Koloratur, Zarzuela oder Zensur). Grundsätzlich ist diese verblüffend einfache Anlage überzeugend – so kann unter den verschiedensten Gesichtspunkten recherchiert werden, wie dies bei den meisten Konkurrenten nicht möglich ist. Damit ist das gedruckte Werk der oben genannten CD-ROM, auf deren Material das vorliegende Lexikon beruht (so der Hinweis im Vorwort), sogar etwas überlegen – dort mußte man zunächst ein bestimmtes Themengebiet anwählen, bevor man dann den eigentlichen Suchbegriff eingeben konnte; dafür fehlen in der Buchausgabe die Illustrationen.
Unter den berücksichtigten Werken und Komponisten findet man erfreulich viele, die über das gängige Repertoire und auch über das Angebot der genannten älteren Lexika hinausgehen (stellvertretend sollen nur Das Donauweibchen von Ferdinand Kauer oder Carlo Menottis The Telephone genannt werden). Natürlich sind die Nachweise je nach historischer Bedeutung unterschiedlich ausführlich und bewegen sich z. B. bei Opern zwischen den knappsten Angaben (Komponist, Librettist und Uraufführung) bis zur mehrseitigen Inhaltsangabe mit Kommentar, wobei die dort häufig referierten rezeptionsgeschichtlichen Informationen – besonders bei lange ungespielten Werken – sehr verdienstvoll sind. Bei den Komponistenartikeln trifft man hinsichtlich einer raschen Weiterorientierung jedoch bereits auf die ersten Schwächen: Bei den dortigen Titelnachweisen wird nämlich nicht zwischen solchen mit längerer Werkbesprechung an anderer Stelle und solchen ohne eigene Erwähnung unterschieden (wurde bspw. Königskinder von Humperdinck noch mit einem eigenen Eintrag berücksichtigt oder nur dessen “Evergreen” Hänsel und Gretel?). Hier muß man mit vergeblichem Nachschlagen rechnen oder aber extra das diesbezügliche Register der ausführlich besprochenen Werke im letzten Band konsultieren, in dem die kürzeren separaten Werkbeiträge dann aber auch nicht verzeichnet sind. Die vereinzelten Literaturangaben bei einigen berühmten Komponisten sind außerdem aufgrund ihres zwangsläufig geringen Umfangs überflüssig und wären eigentlich bei den Unbekannten viel sinnvoller gewesen.
Inkonsequent ist man dann bei den Operneinträgen selbst verfahren: während deutsche, englische, italienische oder französische Werke unter ihren originalsprachlichen Titeln eingeordnet worden sind, findet man die übrigen nur unter der deutschen Übersetzung, die ja außerdem – wie z. B. bei Tschaikowskys in Deutschland als Pantöffelchen bzw. Die goldenen Schuhe aufgeführten Oper – unterschiedlich ausfallen kann und deshalb wenigstens einen entsprechenden Verweis erfordern würde. Ebenfalls vergeblich sucht man die gängigen deutschsprachigen Bezeichnungen (Die Krönung der Poppäa oder Die Macht des Schicksals) um von dort zu den Originaltiteln mit den Beiträgen geführt zu werden (L’incoronazione di Poppea bzw. La forza del destino). Dies ist wiederum auf der CD-ROM ein selbstverständlicher Service und kann deshalb nur dahingehend gewertet werden, daß man beim Übertragen der Daten in das andere Medium dessen spezifische Anforderungen nicht ausreichend berücksichtigt hat.
Das schlüssige Konzept eines Fachlexikons läßt sich an dessen Umgang mit Randgebieten bzw. der Abgrenzung zu verwandten Themen ablesen. Obwohl Musical und Operette nicht hierher gehören, findet man unter den Komponisteneinträgen z. B. Johann Strauß, der mit seinem einzigen Opernversuch (Ritter Pázmán) für das vorliegende Lexikon eigentlich vernachlässigbar wäre. Natürlich ist ein “Mehr” an Vielfalt nicht zu bemängeln, jedoch stellt sich dann die Frage nach vergleichbaren Informationen; folgerichtig könnte man beispielsweise Franz Lehár mit seiner Kukuška erwarten – und dieser fehlt. Ebenfalls inkonsequent ist Fath mit anderen Grenzfällen verfahren; während das Oratorium Die Legende von der heiligen Elisabeth (Franz Liszt) oder Igor Strawinskys Opernoratorium Oedipus rex berücksichtigt worden sind, fehlen vergleichbar bedeutende Werke (z. B. Claude Debussys Le martyre de Saint Sébastien).
Die zahlreichen Fachbegriffe sind häufig knapp, aber in der Regel verständlich und ausreichend erklärt; den naheliegenden Terminus Oper wird man – im Gegensatz zu Faths vergleichbarem Opernlexikon – jedoch vergeblich suchen (an dieser Stelle sind die verschiedenen Typen wie Opéra Comique oder Opera seria nachgewiesen); nur ein Zufallsfund führte zum Ziel: Dieses Thema ist unter Geschichte der Oper abgehandelt (auch hier wäre ein Verweis hilfreich gewesen). Natürlich ist die Einbeziehung von Künstlern in ein solches Lexikon aus Platzgründen immer problematisch, da große Lücken unvermeidlich sind und man mit einem entsprechenden Fachlexikon natürlich besser bedient ist; Fath vermittelt hier einen repräsentativen Querschnitt v. a. durch die aktuelle Opernszene mit hohem Aktualitätsgrad (das Sterbedatum von bspw. Hermann Prey, 23. Juli 1998, konnte noch berücksichtigt werden).
Das vorliegende Lexikon wirkt aufgrund der genannten konzeptionellen Mängel (besonders hinsichtlich fehlender Querverweise) zum einen wie ein publizistischer Schnellschuß: Der völlig anders geartete Datenzugriff bei der CD-ROM erfordert bei der Übertragung auf das Medium Buch einige redaktionelle Mühen, die hier offenbar nicht geleistet worden sind. Zum anderen stellt es einen ungeschickt aufbereiteten Neuaufguß des älteren Opernlexikons dar, mit dem man aufgrund seiner einbändigen Konzeption in handlicher Größe wesentlich angenehmer hatte arbeiten können als mit der nunmehr sechsbändigen Ausgabe im winzigen Reclam-Format. Für einen direkten Benutzerzugriff oder gar die Entleihe ist das Lexikon der Opernwelt außerdem wenig geeignet, da besonders die Klebebindung bei dem großen Satzspiegel und der dadurch notwendigen starken Beanspruchung am Bund den Strapazen einer freien Benutzung auf die Dauer nicht gewachsen sein dürfte; im Handapparat des Auskunftsdienstes könnte es – jedenfalls bei kleineren Musikabteilungen ohne einen größeren Bestand an Nachschlagewerken – dennoch von Nutzen sein.
Georg Günther
Zuerst veröffentlicht in FM 1999