Sonntag, Sabine: Einfach toll! Der Opernbesuch im Spielfilm — Würzburg: Königshausen & Neumann, 2013 — 312 S.: 134 s/w Abb.
ISBN 978-3-8260-3026-8 : € 29,80 (Pb.).
Wer erinnert sie nicht, die rührenden Tränen von Julia Roberts als Pretty Woman in der Oper von Los Angeles bei La Traviata? Sabine Sonntag behandelt in ihrem anschaulich und lebendig geschriebenen Buch an die 250 Filme, die Aufführungsbesuche, Proben und konzertant dargebotene Opernarien enthalten. Die Statistik der zwölf meistverwendeten Opern wird von La Traviata angeführt. Für die Einbeziehung von Opernmaterial für die Autorin vier Hauptgründe an: zur Konkretisierung des Berufs von Komponist, Sänger und Dirigent; als Ausdruck einer Liebesbeziehung; mit symbolhaftem Bezug der Opernszene zur Filmhandlung und schließlich als reine Unterhaltung.
Die einzelnen Kapitel sind unterschiedlich strukturiert: Zwei Kapitel widmen sich den Spitzenreitern La Traviata und der Zauberflöte, je eines den verschiedenen Wagner- und Mozart-Filmen. Die übrigen Kapitel gehen nach Genres vor und behandeln Kriminalfilme, Horrorfilme, Dramen, Comedies, Künstler-Dramen von Sängern und Komponisten, Literaturverfilmungen und das Genre des sog. Parallelfilms (in dem eine Bezug zwischen der im Musikdrama erzählten Geschichte und dem Thema der Filmhandlung aufgebaut wird).
Hochinteressant ist die zusammenfassende Beobachtung, dass bis auf zwei Aufnahmen, alle erfassten Opernszenen traditionell inszeniert sind, und dass viele Filme mit dem Klischee spielen, dass auf einer Opernbühne viel herumgestanden oder gar unbeholfen agiert wird, bei aller Schönheit des Gesangs.
Die thematisch ausgerichteten Kapitel laden mit ihren anschaulichen Beschreibungen zu vergleichenden Betrachtungen ein, rufen Filmerlebnisse lebhaft in Erinnerung und machen auf eine Reihe von weniger bekannten Filmen neugierig: etwa The Lost Weekend (1945) oder Il giovane Toscanini (1988), die radikal aktualisierende Version von Don Giovanni durch Kasper Holten (Juan, 2010), die Filme mit Zarah Leander als Opernsängerin, aber auch auf die beißende Satire auf sämtliche Wagner-Klischees in Monaco Franze (1983) oder die verschiedenen Filmfassungen des Phantoms der Oper seit 1925, und nicht zuletzt Dustin Hoffmans Film Quartett (2012) über vier gealterte Stars im Altenheim.
Die gut 50-seitige Filmographie ab S. 241 listet in übersichtlicher Art die besprochenen Filme auf, aber leider in der Reihenfolge ihres Vorkommens im Buch. Dadurch sind Querverbindungen nicht zu ermitteln. Etwa lassen sich Parallelfilme zu Mascagnis Cavalleria rusticana nicht ausfindig machen, es sei denn, man stößt bei der Lektüre auf die entsprechenden Abschnitte S. 35f über den gleichnamigen schwarz-weiß-Film (1955) und The Godfather Part III (1990).
Dankenswerterweise scheut sich die Verfasserin nicht, im Abspann mit Augenzwinkern Oscars zu vergeben: Welches sind ihrer Meinung nach die gelungensten Opernbesuche im Spielfilm? Neugierige Leser finden die Lösung auf Seite 239f.
2012 erschien in der New York Times ein ätzender Artikel, der (übrigens mit reichlich unhaltbarer Argumentation) flott nachzuweisen suchte, dass aktuelle Hollywood-Filme die Oper vorsätzlich töten (16.08.2012 ‘How Hollywood films are killing opera’). Sabine Sonntag belegt mit ihrem Buch eindringlich und in großer Breite, in welch kreativer und opernzugewandter Weise in den letzten 100 Jahren Regisseure weltweit dem kanonischen Opernrepertoire immer wieder neuartige, spannende Sichtweisen hinzugefügt haben. Wie sagte „pretty woman“ Vivian nach ihrem ersten Opernbesuch? „Einfach toll!“
Hartmut Möller
Stralsund, 16.09.2013