Wagner, Gottfried: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Richard Wagner- Ein Minenfeld. – Berlin: Propyläen, 2013.- 304 S.: Abb.
ISBN 978-3-549-07441-1: € 19,99 (geb.)
Gottfried Wagner, Urenkel des Komponisten Richard Wagner, Sohn des langjährigen Bayreuther Festspielleiters Wolfgang Wagner aus dessen erster Ehe, reiht sich in die lange Reihe von Autoren ein, die Wagners 200. Geburtstag publizistisch begleiten. Gottfried Wagner hat schon eine Autobiografie vorgelegt (Wer nicht mit dem Wolf heult, 1997), über den Holocaust geforscht und publiziert, ist als Regisseur tätig. Mit seinem Vater hat er sich nach dessen zweiter Heirat überworfen, wurde enterbt und hat Deutschland demonstrativ verlassen.
Vor diesem Hintergrund hat niemand ernsthaft erwartet, der Autor würde ein Jubel-Buch über seinen Ahnherren vorlegen. Und doch überrascht die Einseitigkeit, geradezu Verbissenheit, mit der hier der Urenkel gegen die übermächtige Gestalt Richard Wagners wütet. Schon in der Wortwahl ist Gottfried Wagner nicht zimperlich, so spricht er in den Kapitelüberschriften vom Dilettanten, Scharlatan, Zocker, Schnorrer, Intriganten, Nekrophilen. Unbestreitbar war Richard Wagner eine sehr komplexe, widersprüchliche Persönlichkeit, mit nicht wenigen fragwürdigen Facetten – aber das ist bekannt, und wer sich von dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen Autor und Porträtiertem neue Erkenntnisse und Fakten erhofft, wird enttäuscht. Hier wird Bekanntes nur im Ton großer Häme kompiliert und ein sehr einseitiges Wagner-Bild entworfen. In der Diskussion darüber, ob und wie weit Wagners Musik von ihrem ideologischen Unterbau zu trennen ist, hilft dieses Buch auch nicht weiter, schließlich handelt es sich dabei um eine Glaubensfrage.
Die letzten Kapitel des Buches behandeln die unselige Nähe der Familie Wagner, und damit der Bayreuther Festspiele, zu Adolf Hitler und den Nationalsozialisten. Hier, möchte man meinen, müsste der streitbare Autor doch in seinem Element sein. Hier könnte sein Insider-Wissen vielleicht neue Aspekte oder Fakten ins Spiel bringen. Sehr ausführlich beschreibt Gottfried Wagner auch tatsächlich die enge und frühe Verbindung der Großeltern Siegfried und Winifred mit Adolf Hitler, Neues erfährt der Leser aber auch hier nicht, geschöpft wird lediglich aus bekannten Quellen. Interessanter ist da schon der Abschnitt, der die Neugründung der Festspiele durch die Brüder Wieland und Wolfgang unter Ausschluss der ebenfalls erbberechtigten Schwestern Friedelind und Verena betrifft; dieser Aspekt wurde auch in Eva Riegers jüngst erschienener umfangreichen Friedelind-Wagner-Biografie behandelt (Friedelind Wagner, 2012). Eher zahnlos fällt die Schilderung des gegenwärtigen Zustandes der Bayreuther Festspiele aus, obwohl Wagner die derzeitige Leitung, immerhin seine Schwester bzw. Halbschwester, keineswegs schont. Hier hätte man sich mehr von dem Zorn gewünscht, mit dem der Autor gegen seinen Urgroßvater wütet.
Insgesamt entsteht der Eindruck, Gottfried Wagner habe dieses Buch zur Selbstheilung und zur Bekräftigung seiner endgültigen Lösung vom Wagner-Stamm geschrieben, sei aber dabei selbst nicht ganz frei von Wagner’schem Pathos. Seinen Genen kann man nicht entfliehen!
Peter Sommeregger
Berlin, 11.08.2013