Eva Rieger: Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richard Wagners [Peter Sommeregger]

Rieger, Eva: Friedelind Wagner. Die rebellische Enkelin Richard Wagners – München: Piper, 2012. – 512 S.: Abb.
ISBN 978-3-492-05489-8 : € 24,99 (geb.)

Der Name Friedelind Wagners (1918–1991) ist seit ihrer freiwilligen Emigration aus Hitler-Deutschland und dem Erscheinen ihres autobiografischen Buches Heritage of fire (1944; deutsch: Nacht über Bayreuth, 1945) mit zahlreichen Legenden und – falschen – Einschätzungen verbunden.
Eva Rieger, die bereits mit mehreren Publikationen über das Umfeld Richard Wagners hervorgetreten ist, zeichnet in dem vorliegenden Band ein sehr plastisches Bild eines spröden und manchmal widersprüchlichen Charakters. Der Zugang zu dem schwer zugänglichen, in Privatbesitz befindlichen Nachlass der Porträtierten war hier sicher von Vorteil.
Friedelind Wagner, älteste Tochter von Siegfried und Winifred Wagner, verfügt, ähnlich ihren Brüdern Wieland und Wolfgang, über eine künstlerische Begabung, deren Entwicklung aber durch ein kompliziertes, zeitweise durchaus chaotisches Leben behindert wird. Sie verlässt Deutschland 1940, in ihrer Gegnerschaft zu Hitler-Deutschland u.a. von dem väterlichen Freund Arturo Toscanini bestärkt, der sie längere Zeit auch finanziell unterstützt und ihr auf Umwegen den dauerhaften Aufenthalt in den USA ermöglicht. Materiell ist ihre Existenz ständig gefährdet, einen Beruf hat sie nicht erlernt. Tapfer hält sie sich mit Gelegenheitsjobs, z.B. als Kellnerin, über Wasser. Über die Jahre werden ihre Tätigkeiten anspruchsvoller, aber sie kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Von den Vereinigten Staaten aus wird sie nicht müde, gegen die Vereinnahmung der Bayreuther Festspiele und die Werke ihres Großvaters durch die Nationalsozialisten zu agitieren. Sie ist eine Wagner, natürlich wird ihre Stimme gehört – auch in Deutschland. Als sie nach dem Krieg den Kontakt zu ihrer Familie wieder aufnimmt, bleiben die Beziehungen schwierig, besonders zu ihrer Mutter Winifred, die bis an ihr Lebensende an ihrer Sympathie für Hitler festhält. Als die Bayreuther Festspiele 1951 wieder aufgenommen werden, schließen ihre Brüder sie von der Leitung aus; sie wird nicht müde dagegen zu protestieren, aber erfolglos.
Schließlich trotzt sie Wieland die Leitung von Meisterklassen ab, die über mehrere Jahre während der Festspiele stattfinden und regen Zulauf haben. Es gelingt ihr, dafür namhafte Künstler, u.a. Walter Felsenstein zu gewinnen, die alle Aspekte des Operntheaters, von der Regie bis zum Gesang behandeln. In der Rückschau ist dies wohl ihre mit Abstand erfolgreichste Unternehmung. Friedelind war es nicht gegeben, mit ihren vielfältigen Talenten zu wuchern, sich konstruktiv in künstlerische Projekte einzubringen. Ein Schicksal, das unter diesem Aspekt als tragisch empfunden werden kann, sie selbst hat es aber wohl nicht so wahrgenommen. Auch privat gelingt ihr keine dauerhafte Bindung, sie bleibt unverheiratet. Als 1973 endlich ihr Erbteil ausbezahlt wird, haben zumindest ihre materiellen Probleme ein Ende.
Eva Rieger gelingt es, über eine reine Biografie hinaus einen wichtigen Beitrag zur Familiengeschichte der Wagners insgesamt zu leisten. Hier wird mahnend ein Finger in die Wunde gelegt, Bayreuths Verstrickung in das „Tausendjährige Reich“ endlich umfassend aufzuarbeiten. Bemerkenswert einfühlsam ist die Schilderung der verschiedenen Milieus, die Friedelind geprägt haben, von großem Wert auch die Schilderung ihres emigrantischen Umfelds in England und den USA. Viele interessante Querverbindungen werden hergestellt und eine wichtige Grundlage für künftige Recherchen geschaffen.
Das Buch enthält Fotos, die zum Teil aus dem Nachlass stammen, und hier zum ersten Mal veröffentlicht werden. Namensregister, Literaturverzeichnis und zahlreiche Anmerkungen vervollständigen das Werk, das eine wichtige Lücke in der Familiengeschichte Richard Wagners und der Bayreuther Festspiele schließt.

Peter Sommeregger
Berlin, 30.07.2012

 

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