Jean Gaspard Weiss. Autobiographie. Lebens- und Reisebericht eines Musikers aus dem 18. Jahrhundert / Hrsg. v. Tobias Bonz und Eliane Michelon in Zusammenarbeit mit den Archives de Mulhouse und Antichi Strumenti. – Beeskow: Ortus, 2012. – 150 S.: 12 s/w-Abb. (Ortus-Studien ; 10) (dt./frz.)
ISBN 978-3-937788-23-4 : € 25,00 (brosch.)
Zwischen den grauen Buchdeckeln, die den Blick auf die Farbigkeit der Lebenserinnerungen des aus dem elsässischen Mulhouse (Mülhausen) stammenden Musikers Hans Caspar resp. Jean Gaspard Weiss (1739–1815) fast schon verstellen, entpuppt sich die Edition des säuberlich notierten Autographs seiner bislang kaum beachteten Autobiographie (im dortigen Stadtarchiv) auf nur knapp 40 Druckseiten geradezu als Glücksfall aufgrund ihrer hohen Informativität zum Berufs- und Alltagsleben.
Der bescheiden auftretende Geschäftsmann Weiss war als – zunächst herumreisender – Flötist und Komponist unterwegs in den bedeutsamen Musikzentren Italiens zwischen Rom und Mailand (1765), ebenso in Mannheim (1763), Augsburg (1774) und Paris (1767, auch 1774), wirkte und lebte lange in London und Umgebung (1767-1784), vor- und nachher in der heimatlichen Schweiz, wozu bis 1798 auch das Elsass gehörte: Er beschreibt in seinem um 1785 verfassten Selbstzeugnis seinen Werdegang von seiner Ausbildung als 10-Jähriger bis zur endgültigen Rückkehr mitsamt seiner Familie nach Mulhouse.
Die Schilderungen über Land und Leute, Erlebnisse und Erkenntnisse sind in einfacher Sprache gehalten, amüsant und spannend zu lesen und stets unterhaltsam. Für die Forschung lassen sich ergänzende Belege finden: 1. zum Bereich der Musikpraxis einiger Städte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 2. der Ausbildungswege und Reisemodalitäten junger Virtuosen bzw. Solisten sowie 3. zu Musikerkontakten, etwa die Bekanntschaft mit dem Flötisten Johann Baptist Wendling (1723–1797) oder dem Londoner Bach Johann Christian (1735–1782). Ein weiterer Mehrwert dieses Textbandes liegt darin, dass ihm neben den historischen Hinführungen (auch auf frz.) eine bisher nur teilpublizierte Textübertragung der Biographie ins Französische aus dem Jahr 1925 beigefügt ist, und dass diese, ebenso wie die buchstabengetreue Transkription der in der damaligen Amtssprache Deutsch verfassten Original-Quelle, mit Anmerkungen zum Verständnis der zeitgenössischen Begrifflichkeiten und Personen versehen ist, welche ein Register (S. 143-150) samt knappen Lebensdaten nochmals gebündelt erfasst.
Die Editionsabschrift der deutschen Fassung kommt in ihrer Präzision (hochgestellte Einzelbuchstaben, uneinheitliche Verwendung von Kapitalen bei Substantiven) vielleicht ein wenig zu übereifrig daher, was den Lesefluss zuweilen hemmen mag, doch ist dadurch der Wert dieser vorbildlichen Arbeit keineswegs geschmälert. Ein kleinerer Anhang bringt ergänzende Dokumente, z.B. ein vom Pariser Opernkomponisten Ernest-Modeste Grétry (1741–1813) an Weiss gerichteter Brief von 1798 oder sein überschaubares Werkverzeichnis, hauptsächlich Kammermusik ( v.a. für die Flöte).
Für Freunde von Musiker-Memoiren dürfte der Erwerb das Bandes ein großer Gewinn sein, doch möge er ebenso der Anregung zur Herausgabe weiterer Einzelstudien dieser Art dienen.
Manfred Sailer
Regensburg, 12.08.2012