Landshoff-Yorck, Ruth: Die Schatzsucher von Venedig / Aus dem Nachlass hrsg. und mit einem Nachwort von Walter Fähnders. – Berlin: AvivA, 2013. – 168 S.
ISBN 978-3-932338-56-4 : € 13,90
Eine aufgekratzte Meute von First-class-Touristen hetzt durch das nächtliche Venedig, mit Motorbooten durch die Kanäle und zu Fuss durch die Gassen, fällt ungeladen in einen Palazzo ein und mischt eine gepflegte VIP-Fête auf (man kennt und toleriert sich), und tobt endlich gegen Mitternacht in annähernd hysterischer Auflösung und zerfetzten Designerfummeln über die Piazza San Marco. Während die Venezianer in großer Zahl und stummer Wut unter den Arkaden stehend die Provokation beobachten und sich schweigend davon machen, als wieder Ruhe einkehrt.
Kann man sich das vorstellen? Venedig ist bieder und Exzesse finden nicht öffentlich statt. Die Szene ist die Kernsequenz von Die Schatzsucher von Venedig von Ruth Landshoff-Yorck und spielt Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die nächtliche Meute bekämpft ihre venezianische Langeweile mit einer organisierten Schatzsuche nach einer kostbaren Brosche. Die Brosche steckt wie durch Zauberhand an der Schulter einer jungen naiven reichen Amerikanerin. Sie gibt nichts ahnend den Schatz weiter an einen Gondoliere und irrt durch halb Venedig, als sie ihren Fehler erkenntl, bis in das leere Apartment Richard Wagners im Palazzo Vendramin-Calergi ( ““Es ist nur diese winzige Mezzaninwohnung. Die Vorstellung, er habe den ganzen gewaltigen Palazzo allein bewohnt, kommt wahrscheinlich von der Gewaltigkeit seiner Opern. Aber wie Sie sehen”, er öffnete eine niedrige Tür, “kann man große Werke auch in kleinen Zimmern schreiben.””). Während sich ihr ebenfalls reicher und verwöhnter Bruder dem VIP-Fêten-mäßigen Drogenkonsum ergibt. Beide tun in dieser Nacht noch unfreiwillig den Schritt von der reichen Partie zur Mittellosigkeit, aber auch vom Haben zum Sein.
Ruth Landshoff-Yorck, geb. Levy, Bürgertochter der Weimarer Zeit mit familiären Kontakten zu Künstlerkreisen, war früh Teil der Berliner jeunesse dorée. Sie machte eigene künstlerische Schritte als Schauspielerin, Model, Selbstdarstellerin, Journalistin, Schriftstellerin. Ihr Werk – vor und nach dem Exil in den USA – wird rekonstruiert und wiederveröffentlicht vom Verlag AvivA unter literaturwissenschaftlicher Betreuung von Prof. Dr. Walter Fähnders (Universität Osnabrück), der die 132 Seiten der Schatzsucher durch 23 informative Seiten eines Nachwortes ergänzt, das für das Verständnis und die Wertschätzung des Werkes unerlässlich ist, und das als Vorwort zu lesen sich empfiehlt.
Denn der Text kommt daher in Form eines Trivialromans und fordert zunächst tapfere Überwindungsleistung, um den Eindruck banaler Illustrierten-Frauenschreibe nicht mit Hilfe des Papierkorbs abzuwehren. Das kleine Buch erweist sich aber auf der Höhe der Kritik seiner und, übertragen, auch unserer Zeit. Die reichen, um sich selbst kreisenden Protagonisten und NebendarstellerInnen der Palazzo-Party und ihres selbstverständlichen Konsums der einzigartigen Stadt entsprechen den heutigen Gästen der derzeit stattfindenden Biennale-Vernissagefêten, die nur zu diesem Zweck für ein paar Stunden ein- und ausfliegen. Die nächtens durch die Stadt rasende Meute, die ihr Amusement in einen ‘Schatz’ sucht und die wahren Schätze Venedigs weder wahrnehmen noch erkennen kann, findet sich wieder in den Massen, die sich heute tags von einem 3.000-Passagiere-Kreuzfahrtschiff für vier Stunden absetzen lassen und scheuklappenkonform die Geschäfte italienischer Modedesigner ansteuern.
“Dieser Mond war doch anders in Valpariso und Paris, sein blasses Licht schälte die Umrisse der Schönheit aus dem dunklen Sammet der Nacht, die Häuser wurden Ornamente, ihre Nutzbarkeit verlor an Bedeutung, sie wurden zu Preisliedern, zu hingestellten Loben dieser Stadt. Man konnte das doch anschauen, oder?”
Man kann, und zum Glück immer noch, und der eigentliche Schatz ist ohne Zweifel die Stadt selbst. Und da Ruth Landshoff-Yorck in diesen Passagen über den dauerhaften Wert menschlicher Werke und die Kostbarkeit gegenseitiger menschlicher Aufmerksamkeit die Trivialschreibe hinter sich lässt, kann man auch ihr kleines Buch lesen.
Brigitte Eckert
Bonn, 31.05.2013
http://venedig-ebb.blogspot.de/