Leo Kestenberg: Aufsätze und vermischte Schriften. Texte aus der Berliner Zeit (1900‑1932) / Hrsg. von Ulrich Mahlert ‑ Freiburg: Rombach, 2012. – 540 S.: Abb. (Gesammelte Schriften ; 2,1)
ISBN 978-3-7930-9576-7 : € 62,00 (geb.)
Zur Bedeutung Leo Kestenbergs für eine idealistisch und sozial orientierte Musikausbildung gilt das bereits in der Rezension seiner Hauptschriften Gesagte. Nun liegt mit einem weiteren Teilband seiner vermischten Schriften, der die Aufsätze, Vorträge und Artikel aus der Berliner Zeit von der Jahrhundertwende bis zur Machtübergabe der demokratisch gewählten Organe an die Nationalsozialisten gesammelt wiedergibt, eine fast lückenlose Darstellung seiner Entwicklung vor. Sie reicht vom jungen Anhänger der materialistischen Weltanschauung, der sich dann seiner künstlerischen Ausbildung als Pianist widmet und zunächst nicht mehr publiziert, über den Musikorganisator und -fürsprecher im Rahmen der Volksbühnenbewegung, den Musikpolitiker im Preußischen Kultusministerium bis zum Schriftsteller, der sich mit historischen Themen und Größen (Schubert, Goethe) wie auch mit den damals aktuellsten Problemen (Technik, Tonfilm und Rundfunk) auseinandersetzt. Das instruktive Vorwort von Ulrich Mahlert breitet alle diese Aspekte aus.
Wieder wird klar, dass und wie Kestenbergs künstlerische Ader allzu starke Ideologisierungen in seinen Auffassungen von der Rolle der Musik in der Gesellschaft verhinderte, und dass er es war, der letztlich eine plurale und vielfältige musikalische Landschaft in Preußen während der Weimarer Zeit ermöglichte. Auch die Orientierung der allgemeinen Volksbildung an dem Niveau der zeitgenössischen Musik wird deutlich. Er hatte für beide Problemfelder, für die breite musikalische Bildung vom Kindergarten aufwärts und für die Förderung von Spitzenleistungen die richtigen Konzepte. Problematisch an seinen Ansichten ist hingegen das Abschwenken konkreter Vorstellungen über Demokratie und Sozialismus in der musikalischen Praxis in eine diffuse Gemeinschaftsideologie, die ‑ von der singenden Jugendbewegung ausgehend ‑ verführbar war und anfällig wurde für totalitäre Ideologien. Eine ehrliche Sammlung der Schriften Kestenbergs wie diese konnte diesen Aspekt seiner Publizistik und Wirksamkeit nicht einfach ausblenden.
Peter Sühring
Berlin, 14.02.2013