Blackness in Opera / Hrsg. von Naomi André (u.a.) [Marianne Betz]

Blackness in Opera / Hrsg. von Naomi André, Karen M. Bryan und Eric Saylor. – Urbana [u.a.]: University of Illinois Press, 2012. – 289 S.: Abb.; Notenbeisp.
ISBN 978-0252036-78-1: $ 35,00 (geb.)

Die Auseinandersetzung mit „Black Music“ hat in Amerika eine besondere Intensität, die vielfach mit der persönlichen Nähe der Forschenden zum Forschungsgegenstand zu tun hat: eine Nähe, die oft mit Fragen der eigenen Identität zu tun hat, in jedem Fall aber neben der Aufarbeitung eines dunklen Kapitels der Geschichte neue Erkenntnisse über das Genuine afroamerikanischer Kultur sucht. Blackness in Opera ist ein Sammelband mit zwölf chronologisch geordneten Beiträgen, die „Blackness“ im Kontext afroamerikanischer Kultur behandeln, allerdings mit einer etwas größeren begrifflichen Offenheit, die den Blick gelegentlich über die „Americas“ hinweg zulässt.
In ihrem Einführungstext resümiert Herausgeberin Naomi André, Musikwissenschaftlerin und Gender-Forscherin, die unterschiedlichen Aspekte der Repräsentation von „Blackness“ auf der Bühne. Einerseits liefert die Werkgeschichte von Opern wie Otello oder Aida den Kontext für die Wahl der Ethnizität der Charaktere, andererseits verdeutlichen Aufführungs- und Interpretationsgeschichte den Umgang mit ihr auf der Bühne: Welche Authentizität vermittelt die „blackness“ der Interpreten für die Rollen, die sie verkörpern, aber auch für sie selbst?
Die Masque of Blackness (1605), präsentiert von Sarah Schmalenberger, ist ein Werk aus dem England Queen Annes, in dem „black“ über die Hautfarbe hinaus für das kulturell oder politisch Andere steht und die Transformation von schwarzer zu weißer Hautfarbe einen Assimilationsprozess symbolisiert, der die Größe des Königreiches, in dem dieser Prozess stattfindet, hervorhebt. In Christophe R. Gauthiers und Jennifer McFarlane-Harris’ Untersuchung von Verdis Aida wird das Thema Ethnizität nicht auf weiß und schwarz reduziert, sondern das Spannungsfeld zwischen einem europäischen Komponisten und den heller- bzw. dunklerhäutigen afrikanischen, d.h. ägyptischen und sudanesischen Protagonisten herausgearbeitet und damit zugleich die Besonderheit Ägyptens als des exotisch Anderen analysiert. Eric Saylor beschreibt Frederick Delius’ Koanga (1896/97), eine Oper über afrikanische Sklaven im Vorbürgerkriegs-Louisiana, als ein spätromantisches exotistisches Werk, das unter Bezug auf Wagner afroamerikanische Elemente, wie die Rituale des Voudou und Anklänge an Spirituals und Folkloreelemente, als couleur locale verwendet. Scott Joplins Treemonisha (1911) ist ein frühes Beispiel einer Oper aus der Feder eines afroamerikanischen Komponisten. Ann Sears’ exzellente Untersuchung dieses lange erfolglosen „magnum opus“, das auf einer ehemaligen Sklavenplantage um 1884 spielt, hebt die Anklänge an afroamerikanische Gesänge und die synkopierten Rhythmen sowie die Gestaltung der Sprache hervor, da Musik und Text gemeinsam die „black identity“ des Werkes vermitteln und damit auch dessen politische Botschaft, dass Bildung der Schlüssel im Kampf gegen Diskriminierung ist. Clarence Cameron Whites Ouanga!, ebenfalls ein Werk afroamerikanischer Autoren, entstand gegen Ende der 1920er Jahre. Im Mittelpunkt steht Haiti, der erste schwarzregierte Staat in der westlichen Hemisphäre, der als Quelle für lebendige afrikanische Traditionen und für Voudou galt, 1915 aber von den USA besetzt wurde. Karen M. Bryan verdeutlicht, wie einerseits der romantisierende Blick auf das Freiheitssymbol Haiti, andererseits die Verwendung von überlieferten Gesängen, Tänzen und den „drums of Africa“ im Kontext des Voudou die Oper, in geistiger Nähe der Harlem Renaissance, zu einem Statement afroamerikanischer Kultur machen. Blue Steel (1934), die erste Oper William Grant Stills, des vermutlich am besten erforschten afroamerikanischen Komponisten, ist, wie Gayle Murchison minutiös aufzeigt, ein herausragendes Beispiel einer „black opera“, das, wie Ouanga!, im Umfeld der Harlem Renaissance entsteht. Bewusst gestaltet Still Libretto und Musik mit afroamerikanischen Elementen, unter denen erneut als zentrales Motiv Voudou erscheint, das afrikanische Religion und somit Ritual als Teil von Identität symbolisiert. Porgy and Bess (1935), aus der Feder eines nicht-afroamerikanischen Komponisten, ist sicherlich die bekannteste „black opera“. Gwynne Kuhner Browns Beitrag über Gershwins viel kritisiertes Werk greift die Kooperation zwischen Weißen und Schwarzen im Hinblick auf Entstehungs- und Aufführungsgeschichte auf, eine Untersuchung die auch die Frage stellt, inwieweit farbige SängerInnen durch eine Rolle in Porgy auf ein Stereotyp festgelegt werden, das sie für Rollen in anderen Opern blockiert. Paul Bowles’ Denmark Vesey ist eine nur teilweise erhaltene Oper der späten dreißiger Jahre. Melissa J. de Graafs Untersuchung des Stücks, das auf der wahren Geschichte eines Sklaven beruht, der sich mit Lotteriegewinnen freikaufte und 1822 einen Sklavenaufstand gegen die Bewohner von Charleston initiierte, stellt vor allem die künstlerische Authentizität des Projektes in den Mittelpunkt. Die Konstruktion des ethnisch Anderen ist der gemeinsame Nenner zwischen Bizets Carmen und ihrer „black“ Version in Oscar Hammersteins Carmen Jones – die eine spanisch, die andere afroamerikanisch, beide lasziv und weniger realistisch als nach Klischees geformt. Allerdings bleibt, wie Melinda Boyds Betrachtung von Broadway Show (1943) und Verfilmung (1954) zeigt, die „weiße“ Konstruktion afroamerikanischer Repräsentation nur die eines „racial Other“. Jonathan O. Wipplinger zufolge ist die Titelrolle in Kreneks Jonny spielt auf als Amalgam aus unterschiedlichen Repräsentationen von „blackness“ konzipiert: zum einen aus dem karikaturenhaften „blackface“-Abbild der Minstrel Shows, zum anderen aus den europäischen Vorstellungen von „blackness“ im Jazz Age. Die biographische Reflexion des Rodolfo Nero George Shirley zum Umgang eines afroamerikanischen Tenors mit dem Opernrepertoire und den Stereotypien von Rollen bildet den Abschluss des Bandes.
Die sehr differenzierten Beiträge dieses Bandes liefern einen essentiellen Beitrag zum Thema Oper im Kontext afroamerikanischer Musik, der nicht nur konstant werdende Merkmale, wie Voudou-Motive, und Kompositionsstrategien, die etwa auf Spirituals oder call-response-Techniken zurückgreifen, resümiert, sondern auch den praktischem Umgang mit „blackness“ im kreativen Prozess wie im Bühnenbetrieb anspricht. Hilfreich wäre, angesichts der ansonsten sehr bewussten Einbeziehung der jeweiligen sozialen und kulturellen Kontexte, gerade am Beginn des Buches eine Reflexion bzw. Abgrenzung der Begriffe „race“ und „ethnicity“ gewesen, deren Verwendung im Ganzen zu uneinheitlich erscheint. Nichtsdestotrotz ist es den HerausgeberInnen gelungen, durch die Kombination von auf musikalisches Mainstream-Repertoire bezogenen Beiträgen und Untersuchungen zu entlegeneren bzw. in jüngerer Zeit erforschten Werken und Themen ein kleines Kompendium zu Fragen von „blackness“ in Bezug auf Oper zu schaffen.

Marianne Betz
Leipzig, 11.02.2013

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