Wagner-Handbuch / Hrsg. von Laurenz Lütteken – Kassel [u.a.]: Bärenreiter und Metzler, 2012. – 514 S.
ISBN 978-3-7618-2055-1 (Bärenreiter) und 978-3-476-02428-2 (Metzler) : € 69,95 (geb.)
Es ist schon ein gewaltiger, sehr umfangreicher Band, den Laurenz Lütteken da herausgegeben hat: In seinem rechtzeitig zum Wagner-Jahr 2013 erschienenen Wagner-Handbuch versuchen sich zahlreiche namhafte Autoren an einer Gesamtschau des Phänomens Wagner und befassen sich in gestaffelter Reihenfolge mit den Lebenswelten des Bayreuther Meisters, seiner Einstellung zu Politik und Gesellschaft, seinen Schriften und seiner Ästhetik, seinen Bühnen-, Instrumental- und Vokalwerken und Schauspielmusiken sowie den „Werken jenseits der Partituren“. Sie beleuchten den Schaffensprozess des Komponisten und setzten sich auch mit Interpretation und Rezeption auseinander. Bearbeitungen und Fragmente Wagners finden ebenfalls Eingang in den dicken Wälzer, auch wenn ihre Analyse naturgemäß etwas weniger ausführlich gerät. Genau darin liegt ein kleines Manko des insgesamt recht informativen Bandes begründet.
Er enthält mehrere Beiträge, die etwas zu kurz geraten sind und in puncto Ausführlichkeit zu wünschen übrig lassen. Damit wird zwar der vom Herausgeber im Vorwort propagierten Heterogenität Rechnung getragen, gleichzeitig aber auch kein Zweifel daran gelassen, dass eine Vertiefung dieses oder jenes Themas anhand anderer Bücher unerlässlich ist. So mancher hier veröffentlichte Essay führt in eine bestimmte Thematik nur mehr oder weniger kurz ein und stellt praktisch lediglich eine Anregung für den Leser dar, sich zu dem betreffenden Thema weitergehende Literatur anzuschaffen, von der es ja bis auf wenige Ausnahmen genug gibt. Über jedes von Wagners Musikdramen sind etliche dicke Bücher geschrieben worden, angesichts derer die hier veröffentlichten Kurzbeiträge nur einen Klacks darstellen. Und dass die Ausführungen zur Rezeptionsgeschichte sich stark auf das 19. Jahrhundert beschränken und das 20. und das bereits begonnene 21. Jahrhundert rigoros ausklammern, ist eine Unterlassungssünde ersten Ranges. Hier hätte sich den Autoren noch jede Menge Stoff geboten. Dass die Beleuchtung der bildenden Kunst zu Wagners Zeit (Andrea Gottdang) ziemlich fragmentarisch anmutet, war fast zu erwarten. Hervorragend gelungen sind aber die Abschnitte über Wagners Schriften und den Wagner-Gesang im 19. Jahrhundert (Jürgen Kesting) sowie die Abhandlung über Wagners Motivtechnik, kompositorische Syntax und Form (Christian Thorau). Auch der Essay über Orchestersatz und Orchesterbehandlung (Ulf Schirmer) ist interessant zu lesen. Solide muten die Abschnitte über die Literatur (Cord-Friedrich Berghahn) und die Philosophie (Claus-Dieter Osthövener) zu Wagners Zeit an, während der Aufsatz zu Wagners Inszenierungen (Christian Bührle) nicht sehr ergiebig ist und sich überwiegend auf die Wiederholung von längst Bekanntem beschränkt, wie beispielsweise auf die Besetzungsquerelen zwischen Ludwig II und Wagner beim Münchner Lohengrin. Auch Wagners Antisemitismus (Rudolf Wellingsbach) ist ein alter Hut, zu dem in anderen Publikationen viel mehr gesagt wird. Lob ist dem Herausgeber indes für die ausführlichen Zeittafeln auszusprechen.
Dieses insgesamt nicht unbeeindruckende, aber wie gesagt teilweise etwas lückenhafte Konglomerat muss man nicht von vorne bis hinten ohne Unterbrechung durchlesen. Man kann sich dasjenige Thema aussuchen, das einen gerade interessiert. Eine Kenntnis der vorhergehenden Aufsätze ist nicht erforderlich. Der Potpourri-Charakter des Buches erleichtert die Lektüre und lädt dazu ein, querbeet zu lesen, was hier vielleicht durchaus geboten ist.
Ludwig Steinbach
Kornwestheim, 24.02.2013