The John Lennon Letters. Erinnerungen in Briefen / Hrsg. von Hunter Davies. Vorw. von Yoko Ono. Aus dem Engl. übers. von H. Dierlamm und W. Roller. – München: Piper, 2012. – 414 S., zahlr. Faksimiles und Fotos
ISBN 978-3-492-05523-9 : € 39,99 (geb.)
Die Publikation von Briefen und Postkarten im Rahmen einer kommentierten Ausgabe ist in der Popmusik ein Randphänomen. Der Aufwand lohnt sich nur, wenn der Urheber einen solchen Stellenwert hat, dass zur Ergründung von Person und Werk jedes Detail zählt. Oder aber er vermag Außergewöhnliches nicht nur in musikalischer, sondern auch in literarischer Hinsicht zu leisten. Zweifelsohne trifft für John Lennon beides zu. Mit den „Erinnerungen in Briefen“ liegt nun eine überfällige und hervorragend editierte Veröffentlichung vor. Verantwortlich für diesen über 400 Seiten starken Prachtband ist Hunter Davies. In Fachkreisen ist der Journalist als Autor der einzigen, von den Fab Four 1968 selbst autorisierten Biografie bekannt. Auch die vorliegende Publikation ist mit einer beeindruckenden Einverständniserklärung versehen: Yoko Ono, die Witwe Lennons, unterstützte Davies und gestattete letztlich die Veröffentlichung der Schriftstücke.
Jeder Leser mit einer Vorstellung von einem weit verstreuten Künstler-Nachlass kann erahnen, welche Anstrengungen Davies unternehmen musste, um über Jahre hinweg Materialien zu recherchieren, zu sichten und zu entziffern, Adressaten zu identifizieren und diese zu kontaktieren, sofern sie noch leben. Unleserliche Passagen, aus der Zeit gefallene Redewendungen, ein Schreibstil zwischen Klamauk und Fantastik, Einschübe, Illustrationen und fehlende zeitliche Einordung – dies alleine zu entwirren ist eine verdienstvolle Arbeit. Doch Davies war dies nicht genug. Über die reine Transkription hinaus ist beinahe jede der fast 300 schriftlichen Äußerungen als Faksimile abgebildet und übersetzt. Welch ein Panoptikum der kreativen, witzigen und manchmal auch chaotischen Äußerungen der Leser vorfindet, kann nur annäherungsweise beschrieben werden. Darüber hinaus wird jeder Beitrag zeitlich und thematisch eingeordnet und, wenn nötig, mit Fußnoten versehen. Geordnet sind die Briefe chronologisch, wobei durch dieses Kriterium eine zusätzliche thematische Struktur ermöglicht wird (z. B. Briefe aus Hamburg oder an Lennons Assistenten). Diesen über zwanzig Kapiteln geht jeweils ein biografischer Teil mit Fotomaterial voraus, der – für sich genommen – schon den Tatbestand eines abgeschlossenen Werkes erfüllt hätte.
Sicherlich ist nicht jedes Schriftstück gleichermaßen aufschlussreich. Ein Einkaufszettel aus den 1970er Jahren wird die internationale Lennon-Forschung nicht voranbringen. Bei manchen Antwortbriefen hätte man sich zudem gewünscht, den Text, der Lennon zu seiner Reaktion genötigt hat, ebenfalls lesen zu können. Doch stehen diese Kritikpunkte in keinem Verhältnis zu dem Wert, den dieser opulente und mit Hingabe veröffentlichte Band bietet.
Michael Stapper
München, 13.12.2012