Piernay, Rudolf: Klassischer Gesang als Beruf und Berufung. Geschichte, Ausbildung, Praxis. – Berlin: Henschel, 2012. – 160 S.
ISBN 978-3-89487-914-3 : € 17,40 (kt.)
Rudolf Piernay, selbst international erfolgreich auf dem Podium, kann zahlreiche Stars des Opern- und Konzertgesangs zu seinen Schülern zählen: Bryn Terfel, Konrad Jarnot, Melanie Diener oder Michael Volle, der übrigens ein sympathisches Vorwort zum Buch beigesteuert hat. Piernay sich hat im Laufe seiner Pädagogentätigkeit an den Musikhochschulen in Mannheim und London (Guildhall School) zu einem Global Player in Sachen Gesangspädagogik entwickelt und einen enormen Wirkungsgrad entfaltet. Antrieb ist ihm vor allem der verantwortungsvolle Umgang mit dem empfindlichsten Musikinstrument überhaupt, der menschlichen Stimme. Sein Einführungstext ist programmatisch zu verstehen: Die Arbeit mit SängerInnen erfordert einen ganzheitlichen Ansatz sowohl in musikalisch-interpretatorischer Hinsicht als auch im Hinblick auf die artikulatorisch-stimmtechnische und die anatomisch-körperliche Seite. Sein Credo bringt er an anderer Stelle (Opernwelt Jahrbuch 2010, „Aus der Werkstatt“, S. 88 ff.) so zum Ausdruck: Unterrichten ist jahrzehntelanger Lebensinhalt, erfordert die ganze Hingabe des Lehrers und kann als „Work in Progress“ infolgedessen nie Nebenjob sein. Wer es bislang noch nicht so gesehen hat: nach der Lektüre des überaus empfehlenswerten Buches dämmert es auch den unbekümmerten Aspiranten auf einen Studienplatz, dass Singen äußerst harte Arbeit ist. Der Künstler ruht nie aus, sondern ist angehalten, sein erreichtes Niveau mindestens zu halten wenn nicht zu steigern und an sich und seinem Instrument beständig zu arbeiten.
Interessanterweise widmet Piernay in seiner dreiteiligen Abhandlung (s. Untertitel) der Geschichte der solistischen Gesangskunst breite Aufmerksamkeit. Er bekennt sich zur Tradition, aus der sängerische Bildung kommt, denn nur der „historisch aufgeklärte Sänger“ kann sich und seine Kunst angemessen reflektieren. Ebenfalls breiten Raum nimmt die stimmliche Ausbildung ein, wobei die Aspekte Begabung, Fleiß und Ausdauer beim Schüler aber auch beim Lehrer eine wesentliche Rolle spielen. Was wir uns als Konzertgänger nicht immer bewusst machen ist der Umstand, dass gerade Sänger aufgrund der Pubertät vergleichsweise spät professionell mit ihrem Instrument arbeiten können. Während die meisten Instrumentalisten bereits im (frühen) Kindesalter mit ihrer Ausbildung beginnen, zeigt sich die Qualität einer Gesangstimme erst nach der Adoleszenz bzw. nach dem Stimmwechsel. Piernay warnt dabei ausdrücklich vor der gängigen Einschätzung, dass Sänger, die aus Knabenchören kommen, gesangstechnisch einen Vorsprung hätten. Ebenso zügig korrigiert Piernay sämtliche Fehleinschätzungen hinsichtlich der Aufnahmeprüfung an Musikhochschulen und der fachbezogenen angeblichen Eingleisigkeit des Gesangsstudiums. Es wird eben nicht nur gesungen, sondern ein breites Spektrum vermittelt an Kompetenzen, Hintergrundwissen, instrumentalen Fertigkeiten (Klavier), Musiktheorie, Gehörbildung oder auch schauspielerischen Qualifikationen (Bühnenfechten, um nur ein Beispiel zu nennen…). Die Hinwendung zur Originalsprachlichkeit verlangt den Interpreten darüber hinaus Sprachbegabung und die intuitive Befähigung ab, sich in den Aussagegehalt fremdsprachlicher Texte einzufühlen und sängerisch kommunizieren zu können. Das erklärt auch, warum Piernay ausführlich auf das Internationale Phonetische Alphabet eingeht, was mir jedenfalls bislang so in keiner vergleichbaren Abhandlung begegnet ist.
Fazit: Das Buch ist als Pflichtlektüre für angehende Sänger, Profis und Lehrer ebenso zu empfehlen wie Gerd Uecker, Traumberuf Opernsänger.
Claudia Niebel
Stuttgart 11.09.2012