Claxton, William und Berendt, Joachim E.: Jazzlife. A journey for jazz across America in 1960. – Köln: Taschen, 2005. – 696 S.: mit beilieg. Audio-CD
ISBN 3–8228–3066-6 (engl.) ; 3–8228–4970–7 (dt.) ; 3-8228–4971–5 (frz.) : € 150,00 (geb.)
„XXL Format“ prangt neongrün auf einer Ankündigung des opulenten Bildbandes. Und tatsächlich ist die Neuauflage von Jazzlife ein wahres Schwergewicht, nicht nur im Hinblick auf die stattlichen 7 kg, die das großformatige Buch auf die Waage bringt. 1961 erstmals erschienen, avancierte es mit einer Auflage von zwei Millionen Exemplaren schnell zu einem der meistverkauften Musikbücher. Heute ist die legendäre fotografische Dokumentation einer Epoche, die zu den Sternstunden des Jazz zählt, bei Jazz- und Fotoliebhabern ein begehrtes Sammlerobjekt.
Es war eine atemberaubende Reise, zu der der deutsche Musikwissenschaftler Joachim E. Berendt und der amerikanische Fotograf William Claxton 1960 aufbrachen. In einem alten Chevrolet fuhren sie 24.000 km kreuz und quer durch Amerika, immer auf der Suche nach Spuren und Schauplätzen des Jazz. Beide brachten hervorragende Voraussetzungen für dieses einmalige Projekt mit: Berendt hatte nach dem 2. Weltkrieg im Südwestfunk die erste Jazzredaktion eines deutschen Senders gegründet und galt als Jazzexperte. Der Fotograf, den er als Partner für sein Buchprojekt gewählt hatte, war Mitbegründer des renommierten Plattenlabels Pacific Jazz, fotografierte und gestaltete zahllose Plattencover und war mit vielen Jazzgrößen befreundet.
Die Klangspur des Jazz zog sich vom berühmten Newport-Festival bis zum Staatsgefängnis von Louisiana; das Duo erlebte die Funeral Marches in New Orleans ebenso wie eine Bluesparty in einer Chicagoer Garage. Wo immer die beiden auch suchten, auf der Straße, in Kirchen, Clubs oder Studios, gelangen ihnen außergewöhnliche Aufnahmen. Neben unbekannten Straßenmusikern trafen sie auch die Koryphäen des Jazz, z.B. Dizzy Gillespie, Count Basie, Duke Ellington, Muddy Waters, Stan Getz, Miles Davis, Charlie Mingus oder Ella Fitzgerald. So entstanden nicht nur wundervolle Musikerportraits, sondern auch spannende Dokumente vom vibrierenden Alltag des Jazz. „Joe“ Behrendt führte die Interviews und machte Tonaufnahmen, Bill Claxton fotografierte in authentischem Schwarzweiß, aber auch in Farbe.
Bestechend an seinen Fotos ist die ungewöhnliche Perspektive. „Die meisten Jazzfotobücher sind viel zu traurig“, befand der international renommierte Fotograf. Um auch die Lebensfreude und überschäumende Kraft, die ursprüngliche Vitalität und geistvolle Ironie dieser Musik einzufangen, beförderte er seine Protagonisten aus dem schummerigen, rauchgeschwängerten Ambiente der Jazzclubs buchstäblich ans Tageslicht und lockte sie an außergewöhnliche Orte. Den besessenen Pianisten Thelonius Monk sehen wir z.B. im Cable Car von San Francisco, den Trompeter Shorty Rogers im Baumhaus seines Sohnes oder John Coltrane bei dessen erstem Besuch in einem Museum. Claxton erinnert sich in seinem Vorwort an eine Party, die der Vibraphonist Terry Gibbs eines Sonntagnachmittags gab. Die meisten der geladenen Jazzmusiker erklärten, noch niemals am helllichten Tag in der Nähe eines Swimmingpools gewesen zu sein (S. 36). Es ist also kaum die leidende, diskriminierte Seite der Jazzmusiker, der wir hier begegnen. Bei William Claxton lächelt sogar Miles Davis, auf einem Foto zumindest!
45 Jahre nach dieser abenteuerlichen Reise und nachdem „Jazzlife“ jahrelang vergriffen war, entschloss sich der für seine ungewöhnlichen Kunstbuch-Projekte bekannte Taschen-Verlag zu einer Neuauflage des legendären Buches. Monatelang sichtete der Verlag zusammen mit William Claxton das visuelle und akustische Reisematerial des inzwischen verstorbenen Joachim E. Berendt, ordnete neu und hob einige noch unentdeckte Schätze.
Inzwischen ist die Neuauflage erschienen, diesmal dreisprachig und ergänzt um viele bisher unveröffentlichte Fotos sowie eine limitierte CD mit den von Berendt dokumentierten Originalaufnahmen.
Ein Blues aus dem Staatsgefängnis von Louisiana ist darunter, Spirituals und Gospels aus Kirchen sowie Aufnahmen des blinden Roland Kirk, der seine drei Saxophone gleichzeitig zu spielen verstand.
Das einzigartige Material und seine kluge, sorgfältige Aufbereitung machen Jazzlife nicht nur zu einem großartigen Reise-Fotoband, sondern auch zu einer lebendigen Enzyklopädie des Jazz.
Friedegard Hürter
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 103f.