Martin Geck: Mozart. Eine Biographie

Geck, Martin: Mozart. Eine Biographie. Mit Ill. von F. W. Bernstein. – Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2005. – 479 S.: Ill.
ISBN 3-498-02492-2 : € 24,90 (geb.)

Nach einer Tour de force zum Thema Bach hat der renommierte Musikwissenschaftler Martin Geck nun „eine Reise ins Mozart-Land“ unternommen. In zweimal zwölf Kapiteln betrachtet er Mozarts Leben und Werk, in den drei verbindenden Kapiteln im mittleren Teil widmet er sich der Ästhetik der Mozartschen Musik. Der neueste Forschungsstand ist berücksichtigt.
Gecks Darstellung ist wohltuend frei von Spekulationen und Sensationshascherei. Ungeklärtes in Mozarts Biografie wird angesprochen, bloßer Klatsch wie der um die angeblich flatterhafte, unordentliche Gattin oder die dubiosen Todesumstände auf den Boden der überlieferten Fakten geholt. Dem Autor geht es nicht so sehr um eine umfassende Darstellung als vielmehr um das Aufschließen von Räumen, in denen man über Mozarts Leben nachdenken und auf seine Musik neugierig werden kann. Zeit- und Kulturgeschichtliches, Philosophisches, Psychologisches und Politisches fließen in die Betrachtungen mit ein und bieten manchmal einen neuen Blickwinkel auf längst Bekanntes. Mozart war z. B. bei weitem nicht das einzige musikalische Wunderkind: Beethoven spielte mit acht Jahren aus dem Wohltemperierten Klavier, Lorin Maazel dirigierte mit zwölf das New York Philharmonic Orchestra, Rossini schrieb als Vierzehnjähriger seine erste Oper. Ungeschlagen ist Camille Saint-Saëns, der als Dreijähriger brauchbare Walzer und Galopps komponierte. Als Mozart seine ersten großen Werke im Alter von siebzehn Jahren schrieb, war er nicht früher dran als beispielsweise Schubert oder Mendelssohn Bartholdy. Musikalische Frühreife erklärt also keineswegs die einzigartige Künstlerpersönlichkeit, die sich in Mozart offenbart.
Für diese Einzigartigkeit hat Geck eine wunderbare Metapher gefunden, die das Buch ein roter Faden durchzieht: die des komponierenden Harlequin. Er wird hier nicht als bloße komische Figur verstanden, sondern in der Definition von Leibniz als Herrscher des Mondes, der die Kunst beherrscht, „das Schwere angenehm zu machen“. Mozart – das bedeutet für Geck: keine Predigt, kein Bekenntnis, kein Ethos, kein deutscher Tiefsinn, sondern Freiheit, das „große Aufatmen zwischen Bach und Beethoven“. Mozart habe seine Freiheit komponiert, während die Späteren sie meist nur in hochtönenden Worten reflektiert hätten. Harlequin ist auch derjenige, der in immer wieder neuen Gewändern die Bühne betritt und damit für das Wunderbare und Unerwartete im Leben steht. Auch Mozart lasse sich nicht auf einen Wesenskern zurückführen wie dies bei Bach, Beethoven, Schubert oder Wagner möglich erscheint.
Er nehme vielmehr interessantes Material in die Hand, um damit zu spielen und in seinem Sinne etwas Neues daraus zu machen. Seine kompositorischen Strategien erscheinen Geck als Nachahmung des Evolutionsprinzips auf engstem Raum und in kürzester Zeit: eine beständige Suche nach neuen Möglichkeiten, gerade wenn diese nicht vorgezeichnet, sondern durch Findigkeit und Hakenschlagen aufgetan werden müssen. Es gebe bei Mozart keine Differenz zwischen eigenem Charakter und unendlich variablem Rollenspiel. Das mache das Geheimnis seiner Kunst und zugleich seine einzigartige Stellung in der Musikgeschichte aus.
Das Buch setzt beim Leser einiges voraus, manchmal etwas zuviel. Es sind ja nicht nur Musikexperten, die es mit Interesse lesen. Geck hätte gut daran getan, sich stellenweise weniger kompliziert auszudrücken oder zumindest weniger Fremdwörter zu verwenden. Trotzdem: Seine Analysen vermitteln nicht nur überaus kluge, manchmal auch provozierende An- und Einsichten, sie sind auch sprachlich ein Hochgenuss. Zum Beispiel, wenn der Autor die Zauberflöte mit einem gefrorenen Waldsee vergleicht, unter dessen Eisschicht wir ein geheimnisvollen Leben von Fischen, Pflanzen und Strudeln erblicken und erahnen – eine Welt für sich, nah und doch unerreichbar fern. Auf dieses Eis habe sich der Komponist gewagt, um mit seinen Schlittschuhen gestochen scharfe Figuren zu ziehen. Was für ein schönes Bild!
Dieser brillanten Bildsprache Gecks entsprechen die Illustrationen seines Freundes F. W. Bernstein leider überhaupt nicht, im Gegenteil, sie sind oberflächlich, harmlos und auch zeichnerisch von eher mittelmäßiger Qualität. Nicht ganz ernstnehmen kann man auch die von Geck im Anhang zusammengestellte Diskographie. Wichtige Referenzaufnahmen fehlen, dafür sind Negativbeispiele wie die Interpretation der Sonata facile durch Glenn Gould und Ungewöhnliches wie das Musikalische Würfelspiel aufgenommen. Dennoch: Dieses Mozartbuch ist eine der lesenswertesten Neuerscheinungen zum Mozartjahr und hat das Zeug, ein Klassiker der Mozartliteratur zu werden.

Martin Gecks „Reise ins Mozart-Land“ ist auch als Hörbuch auf 3 CDs erschienen. Es umfasst den kompletten biografischen Teil, das zentrale Kapitel „Harlekin komponiert“ und eine Auswahl aus den Werkbetrachtungen. Jeder Abschnitt ist durch Musik Mozarts illustriert. Das eigentliche Ereignis des Hörbuchs ist jedoch die Schauspielerin Senta Berger. Die Intensität und Leichtigkeit, mit der sie diese nicht einfachen Texte spricht, das ist ganz hohe Kunst des Erzählens. Ein Genuss auch für jeden, der solche Texte sonst lieber liest als hört.

Martin Geck: Mozart. Eine Biographie. Gelesen von Senta Berger. -Hamburg: Universal Music, 2005. – 3 Audio-CDs. – (Deutsche Grammophon Literatur)
ISBN 3-8291-1541-5 : € 24,90

Verena Funtenberger
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 55ff.

 

 

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