Käsebier erobert den Kurfürstendamm. Hörspiel nach dem gleichnamigen Roman von Gabriele Tergit / Manuskript und Regie: Volker Kühn. Sprecher: Walter Plathe, Guntbert Warns [u.a.] – Berlin: Duo-phon-records, 2010. – 16 S.; 2 CD (Edition Berliner Musenkinder)
ISBN 978-3-937127-17-8 : € 19,90 (2 CD: 102 min.)
Eigentlich hätte der 1931 erschienene Roman der kulturkritischen Journalistin Gabriele Tergit heißen müssen: „Wie Käsebier beinahe den Kurfürstendamm erobert hätte“. Denn schon in ihm scheitert Käsebier kurz davor an den Machenschaften einer Banker- und Bauunternehmerclique. Die wollte ihm nämlich ein eigenes Theater im „goldenen Westen“ Berlins errichten, einen goldenen Käfig, für den er sich nur mit einer bescheidenen Summe am Bauprojekt zu beteiligen hatte. Womit hätte Käsebier den Kurfürstendamm erobern sollen? Mit Musik, wie man sie damals in Rixdorf machte, das früher von böhmischen, heute von türkischen Einwanderern dominiert ist und im Berliner Bezirk Neukölln liegt. Der Volkssänger und Varietékünstler Georg Käsebier hatte nämlich bisher bescheiden in der Neuköllner Hasenheide sein Programm gesungen und das dortige Publikum so genannter kleiner Leute entzückt – bis er „entdeckt“ wurde und dann in eine Sphäre katapultiert werden sollte, die für ihn ein paar Kragenweiten zu groß war. Dort aber wollte und konnte eine ganze Reihe gerissener Kulturschickeria-Hengste sich an ihm delektieren und bereichern. Die Herrn von der fetten Beute verspekulierten sich, gingen Pleite und ließen Käsebier fallen. Dass Käsebier sich zu ihrem Spielball machen ließ, ohne zu wissen, wie der Laden läuft, das ist wohl das Tragische an seinem Schicksal, das auch die Schriftstellerin Tergit an ihrer eigenen Geschichte demonstrieren wollte. Käsebier war für sie aber nur ein Aufhänger: Die Tatsache, dass er ein zunächst mittelloser und dann nach einer Scheinkarriere erneut verarmter komischer Sänger war, war ihr nicht wirklich wichtig. Trotzdem hat sie mit ihrem Roman eine satirische Parabel auf den kapitalistischen Kulturbetrieb geschrieben, der uns Heutigen nur allzu bekannt vorkommt.
Bis zu einem bestimmten Punkt ist der Roman von Tergit einer wahren Geschichte abgekupfert, der des Varietékünstlers Erich Carow, der zunächst mit seiner bescheidenen „Lachbühne“ und schließlich in der Scala am Rosenthaler Platz als „Chaplin vom Weinbergsweg“ sein auffälliges und mit hohen Gagen bedachtes erheiterndes Geschäft unterhielt, nachdem Heinrich Mann (im Roman der Wiener Literat Otto Lambeck) ihn gutwillig entdeckt hatte und eine Broschüre (im Roman ein Produkt des journalistischen Schaumschlägers Willi Frächter) mit Beiträgen von lauter Berliner Prominenten über „die Karriere eines Berliner Volkskomikers“ erschienen war.
In der Hörspielfassung des Hörbuchs wird diese Geschichte mit passenden Berliner Chansons und Songs der zwanziger Jahre unterlegt und von einer Reihe guter Stimmen mit viel Menschenkenntnis inszeniert, wodurch sich die Charaktere von Gerissenheit, Gier, Leichtgläubigkeit und Resignation gegenseitig hochschaukeln. Einige der Journalisten und auch der Volkssänger und natürlich die Spekulanten und ihre Opfer – sie kommen alle auf ihre Weise unter die Räder, fette Beute im turbulenten Berlin gibt’s nicht mehr, und Käsebier landet in der Provinz. Wollten Tergit und der versierte Chanson-Historiker Volker Kühn uns da etwas von der Korrumpierbarkeit des Künstlers durch das große Geld erzählen?
Peter Sühring
zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 32 (2011), S. 208f.