Kier, Herfried: Der fixierte Klang. Zum Dokumentarcharakter von Musikaufnahmen mit Interpreten Klassischer Musik. Mit Stellungnahmen von D. Barenboim, D. Fischer-Dieskau, E. Furtwängler, N. Gedda, R. Goebel, Y. Menuhin, G. Pichler, W. Sawallisch, H. Schiff, E. Schwarzkopf, G. Wand, C. Zacharias, F. P. Zimmermann – Köln: Dohr, 2006 – 809 S.: Abb.
ISBN 3-936655-31-6 : € 49,90 (geb.)
Dies ist ein sehr persönliches und zugleich sehr systematisches Buch. Der Autor war bis 1990 dreißig Jahre lang in der Programm- und Produktionsleitung eines mächtigen und weltweit aktiven Medienkonzerns, der britischen EMI, tätig, wie aus einer zweiseitigen Autorenbiographie hervorgeht. Wie es scheint, kannte ihn jeder und kannte er jeden großen Künstler, der hinter die Kulissen schaute, jeder hatte mit ihm zu tun, ließ sich von ihm beraten und promoten (wie auch das dem Buch beigegebene Fotomaterial suggeriert). Nun läßt Kier selber hinter die Kulissen schauen und gibt sein Insider-Wissen preis.
Im Zentrum des Bandes stehen zweifellos die dreizehn Gespräche mit den genannten Interpreten, die auf 327 Seiten deren Erfahrungen und Meinungen festhalten, die sie sich über die technische Reproduktion von Musikwerken und während der Aufnahmen gebildet haben. Kier hat diese Gespräche 1995‑1998 nach einem bestimmten Frageschema mit Auslassungen und Erweiterungen geführt und dadurch einen Fundus an authentischen Ansichten und Auseinandersetzungen mit sehr bedeutenden und die Interpretationskultur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägenden Künstlern zusammengetragen. Die Gespräche kreisen um die zentrale Frage von Kier, die nach dem Dokumentarcharakter der Aufnahmen selbst. Immer wieder rückt die Frage nach der Authentizität des Klangs, nach den technischen Perfektionierungen, Retuschen und Manipulationen ins Zentrum, durch die ja die Hörgewohnheiten ganzer Generationen stark beeinflußt worden sind. Hier gibt es auf Seiten der Künstler manchmal erstaunliche Ignoranz und erstaunliches Problembewußtsein. Manche Bekenntnisse, wie das der Schwarzkopf, sie habe sich für das kulturelle Umfeld einer Komposition nie interessiert, gezählt habe für sie nur der Text, die Noten und ihre Stimme, lassen ein bißchen erschauern.
Kier versucht – über technische und historische Informationen hinaus, die auch einen einhundertseitigen Anmerkungsteil füllen, – vor allem eine manchmal etwas bemüht wirkende Systematik zu entwickeln, mit der er der Bedeutung von Musik auf Tonträgern seit der Erfindung der Schallplatte gerecht werden will. Der systematische Teil wirkt oft redundant, auch weil hier in einer beabsichtigten Auswertung der Gespräche große Teile der Antworten der Künstler vorweggenommen werden.
Das Buch ist wegen der in ihm mitgeteilten künstlerischen Ansichten von Interpreten und wegen der hohen Dichte technischer und historischer Informationen (mit Glossar, Personen- und Literaturverzeichnis) für die Diskussion fragwürdiger Reproduktionstechniken von Musik äußerst wertvoll.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), 301f.