Midori: Einfach Midori. Autobiographie / Aus dem amerik. Englisch von Susanne Van Volxem. 2., erw. Aufl. – Leipzig: Henschel, 2012 – 304 S.: 27 farb. Abb.
ISBN 978-3-89487-721-7 : € 24,90 (geb.)
Sie nennt sich in aller Bescheidenheit Midori und berichtet von sich. Bereits die Lektüre der ersten Auflage im Jahre 2004 hat nachdenklich gestimmt. Und auch die erweiterte zweite Auflage bewegt die Rezensentin tief. Es ist der Grat der Ergebenheit, der Demut und inneren Kraft dieser zierlichen Person in der Umsetzung des mütterlichen Diktats. Die Begabung des eigenen Kindes zu erkennen, zu würdigen, zu fördern und auch mit Nachdruck für die Umsetzung der gefassten Pläne zu kämpfen, ist irgendwie normal. Erzieherische Maßnahmen als elterliche Verpflichtung dem Lebenssinn und dem Erreichen der persönlichen Ziele des Kindes geschuldet. Doch, wo verläuft die Grenze? Schon auf den ersten Seiten dieser ehrlichen Lebensschau der Künstlerin wird klar, die Grenze wurde viel zu eng gezogen. Die kleine Midori (*1971) musste einen hohen Preis zahlen für die Verwirklichung der Ziele ihrer Mutter. Es gibt einen Ehrgeiz, der manisch genannt werden muss. In unvorstellbarer Konsequenz und Härte gegen sich selbst, für das Kind und gegen den eigenen Ehemann und gegen die Wünsche und Ziele der Familie, zerrte die unermüdliche Geigenlehrerin ihre hochbegabte Tochter aus ihrem japanischen Leben. Der Neustart in New York hat bizarre Züge. Man sieht das eingeschüchterte Kind in der ärmlichen, fensterlosen Behausung irgendwo in den Schluchten dieser Großstadt Stunden um Stunden üben. War erst die Mutter als Drillmeisterin nötig, hat sie diese Lebenshaltung so verinnerlicht, dass sie selbst zum unerbittlichen Dompteur ihrer musikalischen Fähigkeiten wurde. Der psychische Zusammenbruch einige Jahre später war vorprogrammiert. Es ist berührend zu lesen, mit welcher Klarheit Midori ihren Werdegang beschreibt und analysiert. Ohne Ressentiments gegen die Mutter hält sie Nabelschau und entscheidet sich dafür, sich auch anderen Dingen des Lebens zu widmen. Dingen, die ihre Menschlichkeit, ihre Tatkraft, ihren Mut und ihre Liebesfähigkeit fordern und fördern.
Die musikalische Karriere der Midori ist außergewöhnlich. Die Liste ihrer Einspielungen (S. 299–301) ist beeindruckend. Der Lebenslauf (S. 295–298) zeigt auf, mit welcher Vehemenz die noch junge Midori sofort in das musikalische Fahrwasser der ganz Großen ihrer Zunft geriet, wo sie sich bis heute gehalten hat! Doch sie suchte auch die intellektuelle Herausforderung und setzte auf Veränderungen im Kulturbetrieb. Ihr Konzept der ‚Total Experience‘ verfolgte das ehrgeizige Ziel: „die ‚totale‘ Integration der Gemeinde .. ; alle Beteiligten sollten Rezipienten und Veranstalter zugleich sein.“ (S. 257) Für sie war „Das Wichtigste an dem Projekt … nicht die Künstler, sondern das Thema.“ (S. 257) Die darauf basierende Tournee wurde eine herausragende Erfahrung für Künstler, Veranstalter und Zuhörer. Lesen Sie selbst.
Bettina von Seyfried
Berlin, 30.05.2012