Werner Richard Heymann: „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“. Der erfolgreichste Komponist der UFA-Zeit erinnert sich / Hrsg. von Hubert Ortkemper – Mainz: Schott, 2011. – 368 S.: Abb., Bonus-CD
ISBN 978-3-7957-0751-4 : € 22,99 (geb.)
Hier haben wir „Heymann für Fortgeschrittene“, für solche Musikliebhaber also, die sich nicht nur an seinen Melodien delektieren und darüber hinaus möglichst kurz und bündig über sein Leben etwas wissen wollen, sondern die den dahinter stehenden Menschen mit seinen künstlerischen, politischen, religiösen und menschlichen Ansichten näher kennen lernen wollen. Und das lohnt sich, denn Werner Richard Heymann (1896–1961) konnte nur deswegen so zündende und faszinierende Filmmusiken und Lieder schreiben, weil seine ganze Herkunft, seine Entwicklung und seine Schicksale ihn zu einem insgesamt lebensklugen und feinfühligen Menschen gemacht hatten. Das besonders Charmante an seiner Musik ist auch Resultat tragischer und komischer Ereignisse, die er musikalisch heiter reflektiert.
Seit zehn Jahren, als die Erstausgabe seiner Erinnerungen erschien, wissen wir, dass er nicht nur eine Autobiografie im Telegrammstil für ein Programmheft hinterlassen hatte, aus dem in der jüdischen Miniatur von Wolfgang Trautwein (s. Rezension) zitiert wird, sondern auch begonnen hatte, eine ausführlichere Schilderung seines Lebens zu diktieren. Dieses Diktat führte ihn bis ins Jahr 1928, als er gerade anfing, seine großen Filmoperetten und Chansons zu schreiben. Der Herausgeber hatte schon früher aus weiteren Dokumente und Briefen, sowie in der jetzt vorliegenden, stark erweiterten Neuausgabe auch aus dem Nachlass seiner vierten Frau Elisabeth stammenden Dokumenten eine sekundäre Fortsetzung dieser Erzählungen zusammengestellt, die natürlich den unverwechselbaren Originalton Heymanns nicht weiterführen kann (auch nicht imitieren will), aber ihn in ausführlichen Zitaten präsentiert. Zwischen Heymanns frühere Erzählungen sind behutsam erläuternde Zwischentexte eingeschaltet, die Heymanns voraussetzungslose Erzählungen aus heutiger Sicht kommentieren.
Es geht bei Weitem nicht bloß um die grandiose UFA-Zeit, sondern gerade die Berichte über die Kindheit in Königsberg, die skurrilen Konstellationen im Elternhaus, über seine erste Laufbahn als wunderkindartiger Komponist von seriösen Orchesterwerken, sowie seine Prägung durch die Kontakte zur künstlerischen Bohème im Berlin während der Revolutionszeit nach dem Ersten Weltkrieg, über die Enttäuschungen der Exil-Zeit und über seine Versuche, ab 1951 wieder im Nachkriegsdeutschland Fuß zu fassen und an die alten Erfolge anzuknüpfen, geben diesem Erinnerungsbuch die angemessene Tiefe. Wie er merken musste, war der Schatten des Hitlerreiches länger als gedacht, und er hatte sich auch in den fünfziger Jahren erneut mit deutschem Spießertum auseinanderzusetzen. Aber er hatte auch glückliche Begegnungen, wie z.B. die mit der jungen Hildegard Knef, die ihn ahnen ließen, dass es für seine Art beschwingten und sehnsuchtsvollen Künstlertums auch in Deutschland eine Nachfolge werde geben können. Heymann wird hier sichtbar als Menschenfreund, der sich aber energisch und eloquent gegen „finstere Menschen“, die immer noch nicht wissen, was Meinungs- und Religionsfreiheit ist, zu wehren weiß.
Neben einem ausführlichen Werkverzeichnis, das auch die frühen seriösen Werke enthält, und einem qualifizierten Personenregister, in dem das reiche Spektrum der Bezüge und persönlichen Begegnungen aufscheint, ist noch eine Bonus-CD beigefügt. Auf ihr kann man sowohl Heymann als sich selbst moderierenden Unterhalter hören als auch seine wichtigsten Lieder in alten Originalaufnahmen aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren.
Peter Sühring
Berlin, 27.04.2012