Lorenzo da Ponte. Aufbruch in die neue Welt / Hrsg. von Werner Hanak im Auftr. des Jüdischen Museums, Wien – Ostfildern: Hatje Cantz, 2006 – 215 S. : 154 Abb.
ISBN 3-7757-1748-X : € 35,00 (geb.)
Das Judentum des Librettisten, Impresarios, Literaturprofessors und Lebemanns Lorenzoda Ponte steht im Zentrum dieses Bandes, der als ein mit gewichtigen Essays angereicherter Ausstellungskatalog fungiert. Einzig durch seine kongeniale Zusammenarbeit mit Mozart in den Jahren 1785–89 für die nach ihm benannte Opern-Trilogie blieb da Ponte lange Zeit berühmt. Wie reich darüber hinaus seine Produktivität als Dichter, Geschäftsmann und akademischer Lehrer in Venedig, Wien, Triest, London und New York war, erschließt dieser Band eindringlich. 14 Jahre nach seiner Geburt im Ghetto von Ceneda in Venetien (1749) wurde er getauft, mit 24 zum Priester geweiht, mit 34 in Wien zum Hofpoeten Kaiser Josephs II. ernannt, mit 44 ging er als Impresario nach London, mit 56 übersiedelte er nach New York, wo er mit 76 Professor für italienische Literatur wurde. Er starb 89jährig.
Neben einer tour d’horizon durch die Ausstellung, die Werner Hanak als einer der Kuratoren gewährt, steht die Stadt Wien im Mittelpunkt des Bandes – einerseits als Hort der Aufklärung, in dem tolerierte und getaufte Juden damals unbehelligt leben konnten (Wolfgang Gasser), andererseits als „little Italy“ an der Donau, in dem da Ponteseine Position als Herrscher über die Opernwelt im josephinischen Jahrzehnt, als Gebieter über Salieri, Gazzaniga, Paisiello, Mozart und Weigl auskosten konnte (Miriam Grau Tanner). Die Frage, ob da Ponte musikalisch war, beantwortet Wiebke Krohn zwiespältig; die New Yorker Zeit beleuchtet Otto Biba; warum es lohnend wäre, sich heute intensiver mit da Pontes Lebensgestaltung zu beschäftigen, erläutert Wolfgang Nedobity. In die venetische Kindheit und wie es heute dort aussieht (wo stand die Synagoge von Ceneda?) führt Giampaolo Zagonel.
Zwei brisante Beiträge: a) Leon Botstein befaßt sich mit der Nachwirkung des musikalischen Wunderkind-Mythos in Kreisen des jüdischen Bildungsbürgertums. Mit der frühestmöglichen Förderung musikalischer Talente dokumentierte das assimilations-und bildungsbeflissene, europäisch orientierte Judentum seine Verbundenheit mit dem Genius Mozarts und nahm dessen Wiederkehr in seinen Kreisen in Anspruch. Botstein porträtiert „jüdische Mozarts“ von Anton Rubinstein, über Yehudi Menuhin bis Daniel Barenboim. b) Erik Levi thematisiert das Schicksal von da Pontes Libretti-Texten für Mozarts Opern in der deutschen Aufführungspraxis des 19. und 20. Jahrhunderts. Er zeigt, wie mit der Eindeutschung der Da-Ponte-Texte nicht nur die musikalische Gestalt, die Mozart ihnen gab, sondern auch der Sinn der Handlung und der Worte der Protagonisten entstellt wurde. Vor allem im Rahmen einer von Richard Wagner inspirierten Aufführungspraxis der Opern Mozarts, die lange bis ins 20. Jahrhunderts hineinwirkte, war der Geist da Pontes praktisch ausgetrieben. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung in dem Versuch nationalsozialistischer Kulturpolitiker, die Erinnerung an da Ponte entweder ganz auszulöschen oder durch eine Neuübersetzung zu „arisieren“, für die sich der Berliner Musikbibliothekar Georg Schünemann hergab. Mit ihr wurden die eingebürgerten deutschsprachigen Fassungen des jüdischen Wagner-Dirigenten Hermann Levi aus dem Verkehr gezogen. Die im 19. Jahrhundert (auch von jüdischen Autoren) vorgebrachten moralisierenden, gegen da Pontes „Frivolität“ gerichteten Vorurteile fanden in der Verballhornung des feinsinnigen Così-Librettos ihren Höhepunkt.Der Band erhält durch eine große Auswahl von Abb. der Exponate, eine komplette Liste der ausgestellten Objekte, eine Chronik zu da Pontes Leben und Werk, eine Literaturliste und ein Personenregister hohen dokumentarischen Wert.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 27 (2006), S. 282ff.