Der Singemeister Carl Friedrich Zelter 1752–1832 / Hrsg. von Christian Filips. – Mainz: Schott, 2009. – 180 S.: zahlr. Abb. und Notenbsp.
ISBN 978-3-7957-0658-6 : € 24,95 (geb.)
Man glaubt, den Katalog oder reich bebilderten Essayband zu einer nicht stattgefundenen Ausstellung in Händen zu halten. Reiches Bildmaterial, mit dem sich wohl eine Galerie zum 250. Geburtstag von Zelter im Jahr 2008 gut hätte gestalten lassen, ist hier zur Illustration instruktiver Aufsätze großzügig eingesetzt. Aber dieser vom jetzigen Dramaturgen der Sing-Akademie zu Berlin herausgegebene Band ist mehr als eine Gabe der postumen Freundschaft und Verehrung für den Firmengründer, sondern ein Band, der den Stand der Forschung dokumentiert und neue Aufgaben in den Raum stellt. Der Textteil reicht von historisch informierenden Beiträgen bis zu literarischen Phantasien, die sich am Anblick von Autographen entzündeten (Monika Rink und Wolfgang Schlüter). Der Literat Zelter kommt in seinem selbstverfassten Kurzen Lebenslauf, einer Aphorismensammlung, seinen Denkschriften (vorgestellt von Claudia Sedlarz) und seinen witzigen und deftigen Randglossen in von ihm gesammelten Kompositionen (vorgestellt von Matthias Kornemann) zu Wort.
Nicht nur der Pädagoge, Chorleiter und Organisator, sondern an erster Stelle einmal der Komponist Zelter wird hier, sogar unter dem analytischen Aspekt seiner Harmonik (Ludwig Holtmeier), behandelt und der Entwurf eines zukünftigen Werkverzeichnisses vorgestellt. Die musikalische Freundschaft zwischen Zelter und Goethe wird, mehr von Goethe her und von literaturhistorischer Seite (Bernhard Böschenstein) entfaltet. Wer anderer als der Emanuel-Bach-Spezialist H.-G. Ottenberg wäre am besten in der Lage, das Verständnis, das Zelter von der Musik dieses Bach-Sohnes hatte, darzustellen? Zelter war Kompositionslehrer von Mendelssohn und Nicolai, Grund genug, ihm einmal in die Karten zu schauen und zu fragen, ob er wirklich nur ein Pedant war (Kai-Uwe Jirka). Das von Zelter in der von ihm geleiteten Singakademie angestrebte Bildungsideal wird von Gottfried Eberle erläutert, das von Zelter gegründete Institut für Kirchenmusik von dessen heutigem Leiter (Wolfgang Dinglinger) vorgestellt.
Zelter war, bevor er Musikpädagoge wurde, Maurermeister und hat den Umbau cdes Nicolaihauses, in das eines Tages der Suhrkamp-Verlag einziehen soll, besorgt, daran und an die Ideale des Handwerklich-Bürgerlichen erinnert Marlies Ebert. Günther de Bruyn weiß, dass Zelter auch eine Frau und viele Kinder hatte und erzählt davon in Form einer Interpretation eines Bildes von Schadow. Zelter wäre auch der Berliner Bürger gewesen, der selbst Napoleon hätte gegenübertreten können, daran erinnert Chr. Filips. Thomas Lackmann entdeckt in den Attacken Zelters gegen A. B. Marx gefährliche judenfeindliche Tendenzen, aber man fragt sich, ob das die einzige Lesart ist.
Ein Buch nicht nur für die Freunde der alten und erneuerten Berliner Sing-Akademie, sondern eines, das darüber hinaus eine europäische Institution und den Geist eines ihrer Alten Meister vergegenwärtigt.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 344f.