Levitin, Daniel J.: Der Musikinstinkt. Die Wissenschaft einer menschlichen Leidenschaft. / Aus dem Amerik. übersetzt von Andreas Held. – Heidelberg: Spektrum, 2009. – VII, 428 S., s/w-Abb. (Spektrum Sachbuch)
ISBN 978-3-8274-2078-7 : € 26,95 (geb.)
Was ist Musik? Was löst sie in uns aus? Warum sind die musikalischen Vorlieben der Menschen unterschiedlich?
Diese und viele andere Fragen waren es, die sich der Produzent Daniel J. Levitin stellte, und die ihn veranlassten, Neuropsychologie zu studieren. Heute ist er Professor für Psychologie und Neurowissenschaften in Montreal. Die Frage nach der Wirkung von Musik auf unsere Gehirnzellen hat ihn jahrzehntelang beschäftigt. In seinem Buch This is your Brain on Music: The Science of a Human Obsession, das in den USA mehrere Wochen auf den Bestsellerlisten stand, sucht er nach Antworten. Der Spektrum- Verlag hat nun die deutsche Übersetzung herausgebracht.
Die Fragen, die Levitin am Beginn des Buches stellt, klingen spannend, zumal das Buch den Anspruch erhebt, auch für Nichtwissenschaftler lesbar zu sein. Das gelingt nicht ganz, denn stellenweise muss der Leser aufgrund neuropsychologischer Fachbegriffe passen; an anderen Stellen ist das Buch so populär geschrieben, dass es alles andere als wissenschaftlich glaubhaft ist und auch insbesondere in den Gebieten, in denen der Autor kein Fachmann ist, sogar falsche Aussagen liefert. Ein Beispiel: „Die Lautstärke ist ein rein psychisches Konstrukt, das sich … auf die Menge der Energie bezieht, die ein Instrument erzeugt – wie viel Luft es verdrängt –, bzw., fachlich gesprochen, auf die Amplitude eines Tons“ (S. 5). Das ist nicht nur sprachlich unverständlich, sondern bei einer solchen Definition würden sich bei allen Physikern der Welt die Nackenhaare aufstellen. Lautstärke ist natürlich zunächst einmal ein physikalisches Phänomen, das unabhängig von der Psyche messbar ist. Die im Folgenden aufgestellte Behauptung, Geräusche existierten nur, wenn sie jemand hört (S. 14), steht m. E. auf ebenso schwammigem Boden wie die oben genannte. Ohne die physikalischen Phänomene von den psychologischen abzugrenzen, ist eine solche Behauptung nicht haltbar.
Auch Musikwissenschaftlern dürfte das Blut in den Adern gefrieren: „Die Melodie ist das Hauptthema eines Musikstücks, das, was man mitsingt, die Abfolge von Tönen, die sich am besten einprägt. … In der Rockmusik gibt es typischerweise eine Melodie für die Strophen und eine Melodie für den Refrain … In der klassischen Musik bildet die Melodie für den Komponisten einen Ausgangspunkt für Variationen über dieses Thema, das in unterschiedlichen Formen über das gesamte Musikstück hinweg vorkommen kann.“ (S. 6) Zugegeben: Der Autor greift manche Definitionen in den Folgekapiteln noch einmal auf und konkretisiert sie, jedoch lässt es sich dabei nicht immer vermeiden, dass er sich selbst widerspricht. Aus neuropsychologischer Sicht liefert das Buch jedoch einige wirklich interessante Aspekte über die Wirkung von Musik auf unser Gehirn. Möglicherweise liegt dort der Schlüssel für den bahnbrechenden Erfolg in den USA.
Barbara Wolf
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 284f.