Fürstenauer, Johann und Anna: Oper, sinnlich. Die Opernwelten des Nikolaus Harnoncourt. / Mit Fotos von Werner Kmetitsch. – St. Pölten: Residenz, 2009. – 487 S.: 27 Farbfotos.
ISBN 978-3-7017-3154-1 : € 24,95 (geb.)
In dieser Veröffentlichung haben die Praktiker das Wort. Die Anforderungen an die Realisateure, die Befassung mit dem Kunstgegenstand für die praktische Umsetzung des musikalischen Erbes ist Inhalt des vorliegenden Buches. Die Autorinnen haben sich viel vorgenommen und daran gemacht, vor allem die Einlassungen des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt (*1929) zusammen zu tragen. Sinn und Zweck des Ganzen ist, dem Leser einen Einstieg in die Gedankenwelt, Motivation und Arbeit des Künstlers zu vermitteln. Ein Ritt durch die Musikgeschichte, beginnt die Darstellung mit den frühen Opern eines Monteverdi. Konsequent werden alle großen Namen der Opernliteratur genannt und dargestellt. Die unterschiedlichen Produktionen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte werden mit vertiefenden und erhellenden Kommentaren versehen, die die Komplexität und Vielgestaltigkeit der Materie verdeutlichen. Doch nicht nur Nikolaus Harnoncourt kommt hier zu Wort. Die Materie wird vielfältig durchdrungen und besorgt vor allem eines: die Neugierde des Lesers und geneigten Hörers auf das Mehr an Kunstgenuss und vor allem Kunstverständnis nach vorne zu bringen. Harnoncourt sei „nicht einer, der vorschreibt, der befiehlt. Er erläutert den Musikern die Bühnensituation, er übersetzt den italienischen Text, er beschreibt die Gefühle und Gedanken der einzelnen Figuren“, erklären die Autorinnen. So sagt Harnoncourt u.a.: „Man spielt anders, wenn man weiß, was in Tönen gedacht ist.“ Und weiter „Man kann Hörner auf zwei Arten spielen: in Richtung Klarinetten, also nostalgisch, oder in Richtung Posaunen, das heißt drohend.“ (S. 185) Auf den letzten Seiten wird Harnoncourt wie folgt zitiert: „Eine Aufführung, wie Strawinsky sie wollte (gemeint ist The Rakes Progress; Anm. d. Rez.) kann man heute nicht mehr machen. Das wäre eine Art musealer Werktreue, die ich völlig ablehne. Ich finde, daß sich ein Stück in der Zeit bewegt und der Komponist wie auch der Librettist im Laufe dieser Zeit ihre Rechte an das Stück verlieren. … Wenn man alles so aufführen würde, wie es einst gespielt wurde, dann wären wir Museumsverwalter. Dann aber hätte die Beschäftigung mit Historischem keinen Sinn mehr.“ (S. 467f.) Gespickt mit Anmerkungen, Ausführungen und Sentenzen, muss man das Buch aufmerksam lesen, um immer auch zu wissen, wer gerade zitiert wird. Eine lesbare und leicht verständliche Lektüre, abgerundet durch farbenfrohe Fotos, die den Charakter des Ganzen unterstreichen und den Betrachter in die Produktions- und Bühnenatmosphäre versetzen. Für jeden Opernliebhaber, aber auch für jeden Kenner der Materie eine wertvolle Sammlung von Informationen, Statements und weitergehenden Einschätzungen der dargestellten Werke. Empfehlenswert.
Bettina von Seyfried
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 279f.