„Wie mit vollen Chören“. 500 Jahre Kirchenmusik in Berlins historischer Mitte / Hrsg. von Ingeborg Allihn und Wilhelm Poeschel. – Beeskow: Ortus, 2010. – 277 S.: zahlr. Abb.
ISBN 978-3-937788-18-0 : € 25,00 (brosch.)
Jetzt, nachdem einige nach 1945 getrennte, aber historisch zusammengehörige Institutionen im Bereich der Berliner Kirchenmusik (mit dem Dom und den drei Bürgerkirchen St. Petri, St. Nikolai und St. Marien im Zentrum und dem Institut für Kirchenmusik an der Peripherie) wieder zusammenwirken, war es möglich, die bis jetzt über die Stadt- und Landesgeschichte erforschten Ergebnisse zu bündeln. Dazu hat sich Ingeborg Allihn, eine seit langem als musikalische Regionalforscherin ertragreiche Musikhistorikerin, mit Wilhelm Poeschel, dem Aktivisten des Vereins „Musik aus Berlins historischer Mitte“ und einem Kreis von Kirchenmusikern, Musikwissenschaftlern, Stadthistorikern und Theologen, die ebenfalls schon längere Zeit mit diesem Stoff beschäftigt sind, zusammengefunden. Angefangen von der erstmals 1469 erwähnten Orgel in St. Marien und den ersten im gleichen Jahr erwähnten Chorschülern, über den ersten namentlich bekannten Kantor an St. Nikolai (Martin Krauss, 1512), über die älteste bisher bekannt gewordene Berliner Kirchenkomposition (einem Halleluja des Kantors Leonhard Camerer von 1580), über den Berliner „Asaph seiner Zeit“ Johann Crüger bis zu Enthüllungen über die Nazizeit, ist in diesem Buch – dessen Titel ein Zitat aus dem Paul Gerhardt-Gedicht Fröhlich soll mein Herze springen ist – nicht nur alles in einer übersichtlichen Chronik im Anhang aufgelistet und in einem Register erfasst, sondern auch in zwölf Beiträgen detailliert dargestellt: Berlins Entwicklung von Fischerdorf zur Weltstadt (Ingeborg Allihn), die drei Stadtpfarrkirchen im Mittelalter (Roland Stolte), zwei Kantoren der Reformationszeit: Martin Krauss und Leonhard Camerer (Ekkehard Krüger), märkische Kirchenmusik und Liederfrühling vor, während und nach dem 30jährigen Krieg (Christian Bunners), die Stellung der Musik in den Kirchenordungen des 16. und 17. Jahrhunderts (Lars Klingberg), und in den Gottesdienstordnungen des 18. und 19. Jahrhunderts (Bernhard Schmidt), Frau Musica am Grauen Kloster (leider nur) bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts mit Ausblick auf die Bellermann-Dynastie (Susanne Knackmuß), geistliche Musik im 18. Jahrhundert (Christoph Henzel), Porträts Berliner Kirchenmusiker im 19. Jahrhundert (Dietmar Hiller), in Kaiserreich und Weimarer Republik (Detlef Giese) und im „Dritten Reich“ am Fallbeispiel Hans Georg Görners (Lars Klingberg) und die abwechslungsreiche Geschichte der Kirchenmusik an St. Marien von 1945 bis heute (Bernhard Schrammek).
Fast alle Autoren haben in neu zugänglich gemachten Primärquellen viel neues Material gefunden, das zu erstaunlichen Erkenntnissen führte. Der Band ist reich bebildert und von Hans Joachim Petzak glänzend gestaltet worden. Dieses Buch stellt in der kirchenmusikalischen Regionalforschung einen Meilenstein dar, der auch markiert, in welche Richtung noch weiter geforscht werden kann und muss. Als gelungenes Exempel sollte er nicht nur in den Musikbibliotheken Berlins, sondern auch außerhalb zu finden sein.
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 278f.