Richard Wagner: Briefe des Jahres 1867 / Hrsg. von Margret Jestremski. – Wiesbaden: Breitkopf & Härtel, 2011. – 672 S.: Abb. (Sämtliche Briefe ; 19)
ISBN 978-3-7651-0419-0 : € 51,00 (geb.)
Je höher der wissenschaftliche Anspruch einer Publikationsreihe ist, desto stockender verläuft in der Regel ihr Erscheinen – was ein beinahe unumstößliches Naturgesetz zu sein scheint, entkräften die Herausgeber der Briefe Richard Wagners mit einer ebenso erstaunlich wie erfreulich dichten Folge von immer neuen Lieferungen. Die komplexen Editionsrichtlinien sind zwar längst eingespielt, doch fordern sie bei der Aufbereitung der Dokumente größte Sorgfalt und eine umfassende Kenntnis, so dass man für größere Verzögerungen durchaus Verständnis hätte.
1867, der Berichtsraum des soeben erschienenen 19. Bandes, ist das zweite Jahr nach Wagners selbst verschuldeter „Vertreibung“ aus München. Doch dafür hatte er seit April 1866 in Tribschen am Vierwaldstätter See ein seiner Arbeit viel günstigeres Refugium gefunden, das er erst 1870 wieder verlassen wird: Hier vollendete er im Oktober 1867 Die Meistersinger von Nürnberg, und weil zugleich die Uraufführung geplant werden musste (sie wird am 21. Juni des nächsten Jahres stattfinden), intensivierte er wieder die zunächst reduzierten Kontakte nach München, wo außerdem im Sommer des laufenden Jahres mustergültige Aufführungen seines Lohengrin und des Tannhäuser über die Bühne gehen sollten; hier öffnet außerdem am 1. Oktober die von ihm initiierte Königliche Musikschule ihre Pforten. Auch im familiären Bereich gibt es wichtige Veränderungen: Am 17. Februar wird Eva, Cosimas und Wagners zweites Kind, geboren und damit die Kluft zu seinem wichtigsten künstlerischen Freund, Hans von Bülow, immer tiefer.
Der neue Band dokumentiert 322 Schreiben, von denen 101 hier erstmals veröffentlicht worden sind. Darunter ist Ludwig II., Wagners königlicher Mäzen, sicher der bedeutendste Adressat, was sich in 44 gewohnt wortreichen Briefen an den „theuersten Geliebten“, den „theuren, angebeteten Zauberer“ und „mein letztes Hoffen! Mein schönstes Wesen“ niederschlägt; neben vielen Gedanken zum eigenen Schaffen enthalten sie weiterhin Wagners eher berüchtigte politische „Ratschläge“. Da Cosima wieder zu Hans von Bülow nach München zog, kam es zu einer intensiven, vermutlich nahezu täglich geführten Korrespondenz mit Wagner, die aber – wie auch sonst in diesem Fall – weitgehend vernichtet worden ist; gleichwohl lassen sich davon aus diesem Jahr noch 84 Briefe und Telegramme nachweisen. Daneben vermitteln die 15 zwar bekannten, hier aber ebenso knapp wie fachkundig kommentierten Briefe an die Wiener „Putzmacherin“ Bertha Goldwag ein menschlich-allzumenschliches Bild von Wagners kompromisslosem Bedürfnis nach Luxus. Neben einem umfangreichen Anmerkungsapparat sind in einem Anhang ergiebige Essays (die sog. „Themenkommentare“) zu den wichtigsten Ereignissen des Jahres enthalten. Damit liegt ein weiterer Quellenband über eine der fraglos bedeutendsten und zugleich schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte vor – er sollte in keiner Musikbibliothek fehlen.
Georg Günther
Stuttgart, 06.11.2011