Krawczyk, Stephan: Der Himmel fiel aus allen Wolken. Eine deutsch-deutsche Zeitreise. – Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2009. – 239 S.
ISBN 978-3-374-02709-5 : € 17,80 (geb.)
Im vergangenen November feierte man 20 Jahre Mauerfall, für die einen lagen die Ereignisse Ewigkeiten zurück, anderen schien es, als seien sie erst gestern geschehen. Ein Teil dieser deutschen Geschichte sind der Liedermacher und Autor Stephan Krawczyk und seine damalige Frau, die Regisseurin Frey Klier; beide waren Hauptfiguren der DDR-Bürgerrechtsbewegung und wurden nach kurzem Gefängnisaufenthalt im Frühjahr 1988 gegen ihren Willen in die Bundesrepublik abgeschoben. Krawczyk und Klier waren wochenlang in den Medien präsent, das ging so weit, daß Krawczyk auf der Straße von einer Frau angesprochen wurde, die „sagte, Gott sei Dank sei vor zwei Monaten dieses Flugzeug abgestürzt, sonst müsse sie sich übergeben, wenn sie meinen Namen noch einmal höre. Aber auch jetzt sei ihr schon ganz schlecht.“ (S. 54)
In seinem Buch schildert Krawczyk die ersten anderthalb Jahre im Westen, beginnend mit der VW-Bus-Fahrt von der deutsch-deutschen Grenze nach Bethel, bei der der Himmel so aus allen Wolken fiel, daß die Scheibenwischer es kaum schafften (S. 9). Krawczyk hat Mühe, sich nach dem grauen DDR-Alltag im grellbunten Westen zurechtzufinden, der viele Fallen bereithält. Er schildert seine ersten Begegnungen mit Presse und Fernsehen, den Kauf der ersten Jeans, das erste Essen beim Griechen und beim Italiener. Windige Konzertmanager wollen ihn hereinlegen; es ist nicht alles rosig im Westen; Krawczyk muß viel Lehrgeld zahlen. Aber es gibt da auch die Möglichkeit zu reisen, ein Auftritt in Italien, ein Festival bei Vancouver, ein Segeltörn in Portugal – all das genießt er. Neue Lieder entstehen, neue Beziehungen ebenfalls. Die Repressalien des DDR-Regimes setzen sich aber auch im Westen weiter fort: Die Benutzung der Transitstrecken wird ihm weiter verwehrt; für jeden Besuch oder Auftritt im Westen muß er ein Flugzeug benutzen und sein Auto überführen lassen. Er wird weiter bespitzelt, in seine Wohnung wird eingebrochen. Politisch engagiert er sich mit Lukas Beckmann bei den Atomkraftgegnern und ist federführend bei der Initiative FCKW-Stopp! Jeder Tag zählt! 300.000 Unterschriften werden in Bonn der Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth übergeben; von den Erstunterzeichnern der Petition sind außer Krawczyk nur zwei weitere der Einladung gefolgt: Herbert Grönemeyer und Udo Jürgens! All das entbehrt nicht einer gewissen Tragikomik.
Krawczyk hat 20 Jahre vergehen lassen, ehe er seine deutsch-deutsche Zeitreise rekapitulierte; dieser Abstand hat es ihm ermöglicht, sein Buch nicht aus Haß heraus, sondern aus einer gewissen Distanz, auch zu sich selber, zu schreiben. Das ist dem Buch gut bekommen, ein lesenswertes Buch, geschrieben in einer ausgefeilten, oft poetischen Sprache, wie man sie auch von Krawczyks Liedern kennt; ein Buch, das nicht nur ein Stück unserer Geschichte hautnah vermittelt, sondern seine Leser darüber hinaus auch die Songs des Liedermachers mit anderen Ohren hören läßt.
Jutta Lambrecht
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 75f.