Fuhr, Michael: Populäre Musik und Ästhetik. Die historisch-philosophische Rekonstruktion einer Geringschätzung. – Bielefeld: transcript, 2007 – 151 S. (Texte zur populären Musik ; 3)
ISBN 978-3-89942-675-5 : € 17,80 (Pb.)
Vorbei sind die Zeiten, in denen populäre Musik in akademische Kreise höchstens als Liedgut bei Kommersabenden Einlass fand. Zahlreiche musikwissenschaftliche Institute schmücken sich seit längerem schon mit Vorlesungen und Seminaren über Unterhaltungsmusik; darüber hinaus wurden Lehrstühle und sogar ganze Ausbildungsstätten geschaffen, um die Bedeutung der Popmusik in und für die Gesellschaft adäquat widerzuspiegeln. Grund zur Zufriedenheit besteht jedoch nicht (glücklicherweise, könnte man fast sagen, führt diese doch bisweilen direkt in den Elfenbeinturm); schließlich ist es eine Tatsache, dass die Auseinandersetzung mit dieser Musik stark von tradierten ästhetischen und philosophischen Grundlagen bestimmt wird, die sich nicht immer vorteilhaft für den Pop auswirken. Ganz im Gegenteil: Gerade in der Musikwissenschaft, also der Disziplin, die naturgemäß die Speerspitze bilden sollte, findet eine Ausgrenzung statt, durch die zu befürchten steht, dass sich das Fach letztlich selbst die Zukunft verbaut.
Der Musikologe Michael Fuhr hat die lohnende Aufgabe übernommen, die historischen Gründe, aber auch die Forschungsansätze der letzten Jahrzehnte diesbezüglich unter die Lupe zu nehmen. Überzeugend und sprachlich versiert, geht Fuhr den Ursachen für die mangelnde Berücksichtigung durch die Musikwissenschaft auf den Grund. Als Leser ist man fast versucht, die Mechanismen selbst anzuwenden, sind sie doch nachvollziehbar und in sich schlüssig. Wenn durch das tradierte dichotomische Konzept der klassischen Ästhetik bestimmte Musikgenres ausgeschlossen werden, können diese mit eben dem zur Verfügung stehenden Instrumentarium nicht vorurteilsfrei interpretiert werden. Da der Sache mit dieser geschichtlichen Beschreibung aber nicht gedient wäre, untersucht Fuhr nach den historischen Grundlagen die Bemühungen einzelner Autoren und Wissenschaftler seit den 1960er Jahren, eine eigene Ästhetik der populären Musik zu entwickeln. Dass seine Bewertung nicht immer positiv ausfallen kann, wird am Beispiel von Max Paddison deutlich (S. 78f). Hier zeigt sich, dass auch die Popularmusikforschung bisweilen dem Fehler unterliegt, die dichotome Struktur von „wahrer“ und „falscher“ Kunst innerhalb der Popmusik anzuwenden, was zwangsläufig zu einer Ausgrenzung des analysierbaren Materials und somit auf einen Holzweg führt.
Von der relativen Kürze des Bandes darf sich der Leser nicht täuschen lassen. Fuhr hat sich sinnvoll beschränkt, seinen Text aber gleichzeitig mit soviel Inhalt gefüllt, der in Plaudermanier auch den doppelten Umfang hätte füllen können. Auch dies spricht für die konzentrierte und wertvolle Arbeit, die Fuhr gelungen ist. Da fällt es fast kaum noch ins Gewicht, dass dem Text leider kein Register angefügt wurde.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 202f.