Gmelin, Hannes: Nationalität in populärer Musik. Popmusik heute – Ausdruck kultureller Identität oder Produkt einer globalisierten Wirtschaft? – Hamburg u.a.: Lit Verlag, 2006. – 329 S.: zahlr. Tab.; Graph. (Populäre Musik und Jazz in der Forschung ; 12)
ISBN 3-8258-9982-9 : € 29,90 (Pb.)
Wiener Walzer, English Waltz, Charleston, Krautrock und Britpop … wer sich auf Spurensuche nach regionalen Bezügen in der Unterhaltungsmusik begibt, wird schon in Genrebezeichnungen fündig. Nun haben sich viele dieser Genres längst von ihren Ursprüngen entfernt – ein Charleston kann in Wanne-Eickel ebenso authentisch synkopieren wie in South Carolina. Warum aber klingen Oasis britischer als deutsche Plagiatoren, und wieso wird Sarah Connor trotz aller us-amerikanischer Ingredienzien als hiesige Künstlerin identifiziert?
Diesen Fragen ist Hannes Gmelin in seiner an der Universität Hamburg vorgelegten Dissertation nachgegangen. Gmelin hat sich für eine Versuchsreihe entschieden, in der er 268 Personen in Deutschland und China Popsongs aus verschiedenen Ländern vorspielte und den Probanden entsprechende Fragen zur Verortung der Titel stellte. Mit bewundernswerter wissenschaftlicher Sorgfalt bereitet Gmelin den Leser auf die Testanordnungen vor, expliziert die Grundlagen, sichert sein Vorhaben ab, erläutert, erklärt und legt dar. Das längste Kapitel ist demzufolge auch – nach den mit ausgiebigen Literaturverweisen gespickten Einführungen zu Nationalität und populärer Musik sowie deren Stellenwert in den Bezugsnetzen Kultur, Identität, Wirtschaft, Medien und Globalisierung – der Empirie gewidmet, nämlich dem klingenden Fragebogen und seiner Auswertung. Auch der Leser arbeitet sich, Gmelin folgend, durch Fragen und Ergebnisse, erfährt, dass dieser Song „nicht nach kleinem Land, auch nicht nach Europa“ (S. 244) klänge, sich jener dagegen wie „billige Elektronik-Lalala-Musik“ (S. 247) anhöre, und freut sich auf die (musik)wissenschaftliche Auswertung der Befragung im Kapitel zur Systematik der Kriterien. Diese wird ihm jedoch leider verwehrt, erfährt er doch gerade nicht oder nicht ausreichend über die Verbindung „gefühlter“ Nationalität und musikalischer oder produktionstechnischer Details. Dies ist um so bedauerlicher, als doch jeder Musikhörer länderspezifische Parameter wahrnimmt, diese im Klanggewebe jedoch nicht orten kann, sieht man von offensichtlichen Bezügen wie Sprache, Dialekt oder Themen ab. Dabei hat Gmelin durchaus die richtigen Kenngrößen unter die Lupe genommen: Die Betonung des Sounds oder die Integration von Schallmessungen etwa sind unerlässlich, will man den verschiedenen Ebenen bei der Analyse gerecht werden. Doch trotz ihres unbestreitbaren Diskussionspotentials werden diese musikalischen und außermusikalischen Kriterien nur gestreift. Der Autor scheint sich der Problematik aber durchaus bewusst zu sein, schließt er doch mit den Worten, das weitere Forschungen „sinnvoll, spannend und notwendig“ (S. 273) seien.
Michael Stapper
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 203f.