Heymann, Eberhard: Wörterbuch zur Aufführungspraxis der Barockmusik – Köln: Dohr, 2006. – 265 S.: Notenbsp. u. Abb.
ISBN 978-3-936655-38-4 : € 32,80 (geb.)
Werbeträchtig könnte der Verlag posaunen: Was Sie immer schon über Barockmusik wissen wollten! Aber mehr noch: Hier wird sogar erklärt, was man nicht wissen wollte, was man meinte, nicht wissen zu brauchen (weil es einen nur irritieren würde) und was man wähnte, nie wissen zu können. Aus einer größtmöglichen Menge primärer und sekundärer, theoretischer und praktischer Quellen hat der Autor (von Berufs wegen früher in Forschung und Lehre als Enzymologe tätig) in der jahrelangen Fleißarbeit eines musikbegeisterten, wißbegierigen Laien alles zusammengetragen, was sich an zum Teil äußerst widersprüchlichen Angaben über die Aufführung von Musikwerken aus der Zeitspanne zwischen 1580 und 1730 finden ließ.
In streng alphabetischer Anordnung (mit vielen nützlichen Querverweisen) wird eine kleine Enzyklopädie der Barockmusik in lexikalischer Form geboten, die anscheinend alle möglichen Fragen zu allen Wissensgebieten (Tanzformen, Instrumentenkunde, Musikgattungen, Spielanweisungen etc.) umfaßt. Es geht beispielsweise um die solistische und chorische Gesangskunst jener Zeit, die in dem fragwürdigen Epochenbegriff „Barock“ summiert wird, um die Manieren im Gebrauch der Stimmen und Instrumente, um Begriffe, Ausdrücke oder auch nur symbolische Zeichen, mit denen man sich damals in Europa (aber in jeden Land, jeder Region, jeder Stadt auch ein bißchen anders) verständigte.
Worüber man aus groben Gesamteinführungen oder parteiischen Bekenntnisschriften im Grunde unbelehrt und desorientiert wieder herausgeht, darüber wird man hier mit der gebotenen Genauigkeit und Vorsicht informiert. Wie in sich unstimmig und zerbrechlich diese Informationen manchmal sind oder sein müssen – daraus macht Heymann keinen Hehl und führt damit indirekt sein Unternehmen hinterlistig etwas ad absurdum. „Laßt fahren dahin alle Sicherheit !“ ist das geheime Motto dieses Buches. Jeder Musiker aus der sogenannten Alte-Musik-Szene, der mit dem Brustton der Überzeugung sagen wollte: „Nur so ist es richtig“, würde hier eines Besseren belehrt. Das Bessere bestünde in dem eingestandenen Experimentalcharakter aller Aufführungen barocker Musik heutzutage.
Verblüffend ist die im Vorwort geäußerte Meinung des Autors, man könne dieses ganze Wissen auch vergessen und sich mit modern bearbeiteten Fassungen barocker Musik begnügen, wie es die Barockmusiker mit der Musik der Renaissance auch getan hätten. Wie bitte ? Das wäre aber sicher keine gute Lösung für das aufgedeckte Dilemma – jedenfalls nicht für unsere mitdenkenden Ohren.
Ein Literaturverzeichnis gibt Auskunft über die von Heymann verwandten Quellen. So richtige Fehler konnte der Rezensent wegen seines unvermeidlichen Halbwissens nicht ausmachen. Immer wieder mal scheint eine Kleinigkeit zu fehlen. (Warum hieß die große Terz in Schlußakkorden von Mollstücken pikardische Terz ?)
Peter Sühring
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 28 (2007), S. 63