Maria Busqué: Alles im Flow? Die Kunst, ein musikalisches Leben zu führen. – Augsburg: Wißner, 2022. – 240 S.: Abb.
ISBN 978-3-95786-325-6 : € 29,80 (geb.)
„Na, alles im Flow?” Wann haben wir diesen Ausdruck zuletzt gehört oder sogar selbst benutzt? Nicht erst seit 1975, als der ungarische Glücksforscher Mihály Csíkszentmihály (1934–2021) den Flow für die Psychologie entdeckte, wissen wir: Wenn man sich sehr auf eine Sache konzentriert und die Zeit um sich herum vergisst, ist man im Flow. Der Begriff „flow” (aus dem Engl. = fließen) oder „im Flow sein” ist also geradezu prädestiniert für die Musik. Zuerst hatte ihn wohl die Hip-Hop-Szene benutzt, wo mit dem richtigen Flow das Zusammenspiel von Stimme, Beat, Melodie, Betonung, Text sowie der Aussprache der Rappenden gemeint war. Die Faszination am Flow war es auch, die Maria Busqué dazu bewegt hat, ein Buch darüber zu schreiben. Es richtet sich an Musikprofis sowie -laien und alle, die es werden wollen. Die Musikrichtung spielt für Busqué dabei keine Rolle. Jedoch sind viele Beispiele im Buch auf das Musizieren in der Klassik bezogen und es bleibt der Leserschaft selbst überlassen, sie auf Jazz- und Popularmusik oder andere Stile zu übertragen.
Der bzw. die ein oder andere mag es kennen: Man ist am Üben und steckt fest. Man kommt einfach nicht mehr rein, in den Flow. Die Freude am Instrument ist mehr oder weniger verlorengegangen. Denn manche stecken nicht nur mit dem Üben, sondern auch mit ihrem Leben fest. Maria Busqué weiß selbst aus eigener Erfahrung, wie sich das anfühlt und versucht in ihrem Buch Alles im Flow? Die Kunst, ein musikalisches Leben zu führen” Lösungsansätze aufzuzeigen, wie man sich aus so einem Loch mit eigener Kraft wieder herausspielt. Soviel ist sicher: Viele Wege führen zum Flow – und zwar für Körper und Geist. Der rote Faden der Geschichte in sieben Kapiteln sind die Stationen eines Lebens in Musik. Dabei zieht die Autorin immer wieder lebhafte und authentische Vergleiche zu ihrem eigenen Leben und Erleben. Ihren Anfang in der Musik bezeichnet sie selbst als holprig. Denn mit 17 Jahren war sie mit ihrem Entschluss, Konzertpianistin zu werden, nicht nur die Einzige in der Familie, sondern auch verhältnismäßig spät dran. Ohne viel Vorerfahrung oder familiäre Unterstützung wollte sie das Unüberwindbare meistern und wusste sofort: Das ist ihr Weg!
Heute ist Maria Busqué, die im spanischen Sevilla geboren wurde, Pianistin, Cembalistin, Klavierpädagogin, Resonanz-Lehrerin und coacht Musizierende in Berlin. Mit ihrer Arbeit will sie letzteren helfen, sich selbst wertzuschätzen und MIT statt gegen ihren Körper zu musizieren. In diesem Zusammenhang fiel auch zum ersten Mal das Wörtchen „Flow”. Zunächst schrieb sie Blog-Texte, erst über fachliche Aspekte, danach zur Motivation und Inspiration. 2014 startete sie ihre E-Mail-Kolumne „Flowletter”. Das Buch Alles im Flow? entstand schließlich im Austausch mit ihren LeserInnen. Maria Busqué konnte es dank eines Crowdfundings im Jahr 2020 im Selbstverlag finanzieren und herausgeben. Die vollständig überarbeitete Ausgabe erschien 2022 in einer Neuauflage im Wißner-Verlag.
Das Buch beginnt mit einem alphabetischen Themen-Register, das die selbsternannte „Flowflüsterin” liebevoll als kleine musikalische Hausapotheke bezeichnet. 20 Seiten später ist in mit Musik anfangen die Rede von (Re-)Starts in der Musik. Außerdem stellt Maria Busqué die brennende Frage: Ist es vielleicht schon zu spät, um Musikerin zu werden? (Da sie hier nur die weibliche Form verwendet, geht es scheinbar um ihre eigene Karriere. Jedoch wechselt sie – wenn ich nicht irgendetwas Wichtiges übersehen habe – später noch wild zwischen dem generischen Maskulinum, der gegenderten und der weiblichen Form hin und her)?
Im zweiten Kapitel geht es dann darum, Hürden zu überwinden. Musizierende sollen trotz innerer und äußerer Hindernisse nicht nur souverän auf der Bühne, sondern auch zu sich selbst stehen, bis sie in Kapitel 3 Musik leben vollständig im Musik-Alltag angekommen sind. Jedoch wird erst durch das Weitergeben von Musik, in der Arbeit mit SchülerInnen im 4. Kapitel Musik unterrichten klar, was diese Tätigkeit eigentlich bedeutet. Musik-Lehrende finden dort kreative Hinweise fürs Unterrichten und ganz neue unkonventionelle Herangehensweisen. Das 5. Kapitel trägt den verheißungsvollen Titel Flow und Resonanz beim Musizieren. Hier gibt Maria Busqué fachliche Impulse und erläutert spannende Zusammenhänge, die in den gängigen Bewusstseins-Methoden für MusikerInnen bisher meist unbeleuchtet blieben. Mit Neue Wege gehen, dem 6. Kapitel, einer Art Ausblick über den Tellerrand, ist es jedoch nicht vorbei. Denn die Autorin befasst sich mit dem Teil in uns, der neugierig ist und neue Impulse sucht. Dass sie diese schlussendlich gefunden hat, zeigt sich in Kapitel 7: Musik transzendieren. Es geht um die Vollendung des Weges in Musik. Wenn es nicht mehr um die Musik selbst geht, sondern um die Tiefe in uns, die wir durch den musikalischen Weg erfahren und die wir mit unseren Zuhörenden kommunizieren, in einer Weise, die nicht mehr in Worten erfasst und gefasst werden kann, ist das dann Flow?
Warum wird im Sinfonie-Konzert gehustet und was entsteht, wenn wir zu viel Stille „aushalten” müssen? Oder ist es genau diese Stille, dieses Nichts, das eine Spannung erzeugt? Unweigerlich müssen musikversierte LeserInnen vielleicht an ein prominentes Beispiel des Komponisten John Cage denken, der dieses Prinzip mit seinem Werk 4’33 auf die Spitze treibt. Zwar kommt dieses Beispiel nicht im Buch vor. Dennoch lesen wir: „Für manche Menschen ist die gemeinsam erlebte Stille nicht zu ertragen” (S. 212). Die Ressourcen ab S. 238 – der Begriff mutet anfangs etwas seltsam an, erklärt sich aber im Folgenden von selbst – verweisen auf die eigene Flow- bzw. Webseite. Auf www.mariabusque.net/alles-im-flow/ finden Wissbegierige Links zu Artikeln, Videos, Audios und Kuriositäten, die das Buch inspiriert haben. Zufällig findet man dort auch Infos zu aktuellen Kursen der Künstlerin. Auf derselben Buchseite kann man auch, wie in einem Freunde- oder Poesiebuch in einen kleinen Kasten schreiben, wer das Buch als nächstes lesen soll, damit auch der Leseflow erhalten bleibe, so der Wunsch der Autorin. Eine Seite später folgt dann ein „gewöhnliches” einseitiges Verzeichnis mit dem Titel weiterführende Literatur.
Aber eigentlich muss man gar nicht von vorne nach hinten lesen, sondern kann das Buch auch irgendwo aufschlagen (wie so ungefähr jedes Buch auf diesem Planeten) und kann sich auch einfach einzelne Kapitel herauspicken, die einen besonders interessieren. Laut Maria Busqué stehe jeder Text für sich und erkläre sich von selbst. Somit bleibt auch der Form-Flow erhalten. Die Grafiken im Buch, welche die Autorin z.T. selbst gestaltet hat – dabei stellte die ein oder andere selbst gepinselte Grafik zwar eine Untermalung des Textes, jedoch weder eine neue Erklärung noch eine Weiterführung dar. Dennoch hervorzuheben sind die poetischen und phantasievollen Illustrationen von Clara Frühwirth, die sich vor allem auf den Kapitelseiten austoben durfte, in denen es ähnlich wie in den Texten um Bewegung und Multidimensionalität geht.
Gegen Ende des Buches wird es nochmal philosophisch: Was hat es mit Wabi-Sabi – nicht zu verwechseln mit Wasabi – in der Musik auf sich? Hier geht es um die Schönheit des Vergänglichen. Denn ein Konzert ist ein einmaliges Klangerlebnis und kostbar, weil es nicht wiederholbar ist. In diesem Zusammenhang wird klar, dass Dinge nicht unbedingt perfekt sein müssen, gerade auch in der Musik. Resonanz wurde schon zuvor als zwischenmenschliches Phänomen enttarnt, denn im Konzert treffen echte Menschen aufeinander, sowohl das Publikum als auch die Musizierenden. Es entsteht ein einzigartiger Moment.
So schließen wir mit den Worten Arthur Schopenhauers (1788–1860), der einst sagte: „Das Glück ist nicht mehr als die Abwesenheit der Langeweile.” Oder, um es in Busqués Worten auszudrücken: Der Flow tritt nur ein, wenn Langeweile oder Stille überwunden werden. Also springen wir hinein ins Buch-Glück und schwimmen genüsslich im Reading-Flow!
Rebecca Berg
Bochum, 28.10.2023