Handbuch der Chormusik. 800 Werke aus sechs Jahrhunderten / Hrsg. mit einem Vorwort u. einer Einführung von Bernd Stegmann. Gemeinschaftsausg. – Kassel u. Berlin: Bärenreiter u. Metzler, 2021. – XX, 718 S.
ISBN 978-3-7618-2342-2 (Bärenreiter), 978-3-476-02589-0 (Metzler) : € 89,99 (geb.; auch als e‑Book)
Viele Chöre proben wieder und freuen sich darauf, das Erlernte in Konzerten ihrem Publikum präsentieren zu dürfen. ChorleiterInnen sind regelmäßig auf der Suche nach passendem neuen Repertoire. Im gut 700 Seiten starken Handbuch der Chormusik, das 2021 bei Bärenreiter und Metzler erschienen ist, werden sie fündig. 800 Chorwerke von A wie Samuel Adler (*1928) bis Z wie Udo Zimmermann (*1943), von Clément Janequin (ca. 1485–1558) bis Jake Runestad (*1986) sind hier beschrieben. Abgedeckt werden weltliche und geistliche Chorwerke, die im vokalen Ensemble ohne große Instrumentalbesetzung aufgeführt werden können, in Abgrenzung zu oratorischen und sinfonischen Chorwerken. Der Hauptteil ist nach KomponistIn alphabetisch sortiert. Die Artikel der 22 renommierten Autorinnen und Autoren (darunter Musikwissenschaftlerin Silke Leopold und Dirigent Steffen Schreyer) liefern wertvollen Kontext und Einordnung der KomponistInnen und ihrer Werke. Diese werden knapp und kompakt beschrieben durch Analysen der Struktur, der Harmonik sowie des Umgangs mit dem Text. Praktische Aufführungshinweise und Empfehlungen für die Chorarbeit ergänzen die Artikel stellenweise. Den Werkbeschreibungen vorangestellt sind grundlegende Informationen wie Entstehungszeit, ungefähre Aufführungsdauer, Besetzung, Verlagsausgabe und Quelle der Textvorlage. Zusätzlich ist jedes Werk mit der Angabe des Schwierigkeitsgrads von 1 (leicht) bis 5+ (sehr schwer) versehen. In den dem Hauptteil vorangehenden „Praktischen Hinweisen“ nennt der Herausgeber Bernd Stegmann jeweils Beispiele für die Schwierigkeitsgrade als „grobe Orientierungshilfe“ (XVII). Stegmann selbst ist Kirchenmusiker, er war Professor für Chor- und Orchesterleitung (Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg) und leitet mehrere Chöre. Die verschiedenen Zugänge der AutorInnen aus Sicht von Musikwissenschaft, Komposition, Chorleitung und Musikverlag ermöglichen den Lesenden unterschiedliche Perspektiven. Das Handbuch der Chormusik ist nicht nur klassisch zur Repertoireauswahl für ChorleiterInnen gedacht, „Querlesen“ und „kreative Nutzung“ (Vorwort, VII) ist laut Stegmann ausdrücklich erwünscht. Das Handbuch erleichtert dies durch den benutzerfreundlichen und umfangreichen Registerteil. Die Register ermöglichen das gezielte Auffinden von Werken u. a. nach Textvorlagen oder Themen wie z. B. „Jahreszeiten“. Werke für Frauen- und Männerchor sind ebenso im Register gelistet. Eine weitere Aufschlüsselung der gemischten Besetzungen ist nicht enthalten, beispielsweise bliebe die Frage „Welche Chorwerke für SSATB sind hier beschrieben?“ offen.
Wie kam nun die Auswahl der 800 Chorwerke zustande? Das Vorwort und die Einführung liefern einige Hintergründe zu dieser Kernfrage. Aus Sicht der Besetzung folgt Stegmann dem pragmatischen Ansatz, Werke mit aufzunehmen, die heute von Chöre gesungen werden, auch wenn sie zum Entstehungszeitpunkt eher solistisch im Vokalensemble aufgeführt wurden. Genrebezogen geht es um die sogenannte „klassische“ Literatur, Pop-, Jazz-, Gospelchormusik bleibt ausgespart. Das Handbuch umspannt sechs Jahrhunderte Chormusikgeschichte. Den Startpunkt bildet, wie Stegmann einleitend ausführt, die Zeit des Epochenwandels ab ca. 1580–1600, mit den Vokalkompositionsstilen der prima und seconda pratica wie von Claudio Monteverdi (1567–1643) im V. Madrigalbuch benannt. Neben den „Highlights“ der oft aufgeführten A-cappella-Werke von Renaissance bis Moderne sind auch seltener zu hörende, aber lohnenswerte Stücke berücksichtigt. Geografisch bewegt sich die vielseitige lexikalische Sammlung überwiegend im europäischen Raum mit interkontinentalen Ausflügen. Einen kleinen Schwerpunkt bildet die seit Längerem auch in Deutschland sehr beliebt gewordene spätromantische und zeitgenössische Chormusik aus Skandinavien und dem Baltikum, mit Werken von u. a. Knut Nystedt (1915–2014), Sven-David Sandström (1942–2019), Trond Kverno (*1945) oder Toivo Kuula (1883–1918). Zeitlich gesehen ist das 21. Jahrhundert angemessen vertreten z. B. durch Charlotte Seither (*1965), Ola Gjeilo (*1978) oder Karin Rehnqvist (*1957), auch wenn hier naturgemäß nur ein Ausschnitt aus der Fülle an Gegenwartsmusik dargestellt werden konnte. Bei ausgesprochenen Chorkomponisten wie Arvo Pärt (*1935) oder Wolfram Buchenberg (*1962) fiel die Auswahl der Werke sicher nicht leicht, es hätte den Rahmen gesprengt, ihr umfangreiches Chor-OEuvre komplett abbilden zu wollen.
Das Handbuch der Chormusik ist eine absolute Empfehlung für alle an Chormusik Interessierten, es sollte im Bücherregal oder der e-Book-Sammlung nicht fehlen.
Barbara Schmidt
München, 29.07.2022