Avalon Nuovo und David Doran: Hier spielt die Musik. Das Orchester und seine Instrumente [Petra Diepenthal-Fuder]

Avalon Nuovo (Autorin) und David Doran (Illustrator): Hier spielt die Musik. Das Orchester und seine Instrumente / Übersetzt von Silke Körber. – Deutsche Erstausg. – München: Knesebeck, 2020. – 80 S.: ganzs. Farbill.
ISBN 978-3-95728-376-4 : € 18,00 (geb.)

„Willkommen in der Welt der Töne!“ Mit diesen Worten macht der Knesebeck-Verlag in seinem Pressetext auf ein neues Sachbuch für Kinder aufmerksam. Es geht um Das Orchester und seine Instrumente. In drei Teilen wird auf achtzig Seiten der große Wurf gewagt: Während im ersten Teil nach einer kurzen historischen Einführung das klassische Sinfonieorchester vorgestellt wird, folgen im zweiten und dritten Teil der Blick auf die Musik selbst sowie auf weitere Musikformate mit Orchester. Dem schwergewichtigen Inhalt mit seiner geballten Information entspricht das gebundene, quadratische Kinderbuchformat von 30 x 30 cm. Für sechsjährige Kinder, dem Mindestalter der Zielgruppe, ist es nicht nur aus Gewichtsgründen sinnvoll, wenn sie einen Erwachsenen an ihrer Seite haben. Dabei ist das Buch klar formuliert, geradezu bewundernswert in der Komprimierung von historischen und technischen Sachverhalten, ohne an Verständlichkeit zu verlieren. Hilfreich sind für die Leser*innen zwei Prinzipien: erstens – ein Kapitel wird auf der Fläche einer doppelten Buchseite abgehandelt. Und zweitens werden Fachbegriffe im Text optisch durch Fettdruck hervorgehoben und in einem Glossar am Ende des Buches erläutert.
Dass sich eine klare Systematik und Detailverliebtheit, von der der Verlag im Pressetext spricht, nicht ausschließen müssen, zeigt sich vor allem im ersten Teil Das Orchester. Ausgehend vom Gesamtüberblick über ein Sinfonieorchester werden Instrumentengruppen vorgestellt und in der Regel ein ausgewähltes Instrument dieser Gruppe noch detailliert beschrieben. Selbst die Bedeutung der Akustik des Konzertsaals wird dargestellt, bekannte Konzertsäle aufgeführt. Eigentlich ist mit dem ersten Teil das Versprechen des Buchtitels erfüllt, aber noch fehlt die Musik selbst. Sie meldet sich im zweiten Teil Die Musik und ihre Meister zu Wort. Auch hier wieder erst eine systematische Einführung ins Grundlagenwissen, bevor es um wichtige Kompositionen und Komponist*innen der Musikgeschichte geht. In diesem Teil ist die Systematik am Wenigsten ausgeprägt, es regiert vielmehr der Mut zur Lücke, um eine große Bandbreite abzudecken. Historische Entwicklungen werden nicht skizziert. Im Widerspruch zum maskulinen Begriff des Meisters in der deutschen Übersetzung wird als Erstes einer Frau als Komponistin gedacht, nämlich Hildegard von Bingen, obwohl sie keine direkten Berührungspunkte mit der Gesamtthematik hat. Gendergemäß stehen ihr – neben acht ausgewählten männlichen Komponistenkollegen – mit Amy Beach als erster amerikanischer Sinfonie-Komponistin und Ethel Smyth als britischer Komponistin – und frühen Frauenrechtlerin – immerhin zwei weitere Frauen zur Seite. Es zeigt sich nicht nur hier, dass die Autorin Avalon Nuovo, von Haus aus Illustratorin und Lektorin, aus dem anglo-amerikanischen Raum stammt. So ist zu erklären, dass bei einer kleinen Auswahl von nur zwei Kompositionen neben den Vier Jahreszeiten von Antonio Vivaldi die Wahl auf das sinfonische Werk Die Planeten von Gustav Holst gefallen ist, das im angelsächsischen Raum eine wesentlich größere Popularität besitzt als im deutschsprachigen. Duke Ellington als Maestro der Big Band beschließt die angestrebte Bandbreite der Musiker*innen. Gerade bei dem Kapitel Galerie der Berühmtheiten fehlen etliche vermeintlich bekannte Gesichter, allerdings zugunsten anderer interessanter Persönlichkeiten, wie William G. Still als erstem afroamerikanischem Dirigenten in den USA und Michel Legrand als großem französischem Filmmusiker. Es ist eine Chance für erwachsene Lesepat*innen im deutschsprachigen Raum, über den bekannteren Tellerrand hinauszublicken und dies nun auch vermitteln zu können. Der dritte Teil Jenseits des Konzertsaales weitet noch einmal den Blick auf andere Sparten mit Orchestermusik. Es geht um die Welt der Oper, des Musicals und Ballett sowie Filmmusik, aber auch um den Einfluss technischer Neuerungen sowie um die kultische Bedeutung von Musik in Religion und Mythos. Noch einmal erliegt man als Erwachsener der Faszination der komprimierten, sachlichen Darstellung, die allerdings nur noch Platz für ein ausführlicheres Beispiel, nämlich die Oper Carmen von Georges Bizet bietet. Und wenn am Ende des Buches das Kind zum Mitmachen aufgefordert wird, dann stellt sich allerdings die Frage, ob ein solches Buchformat Kinder zum instrumentalen Musizieren animieren kann. Denn dieses Buch enthält keine direkten Hörmöglichkeiten, was aber für eine Interessensweckung notwendig wäre. Im ersten Teil wird zwar ein Bezug zur Singstimme als Körperinstrument hergestellt, aber leider wird das Kind nicht weiter zum direkten Singen animiert, sondern es bleibt bei theoretischen Erklärungen. Im Kapitel Ein Wald voller Klänge geht es nicht um den Wald als praktisch zu erkundenden Klangraum, sondern um dessen durchaus interessanten Zweck für den Instrumentenbau.
Ob Kinder mit dem reinen Lesen sachlicher Texte „in die fantastische Welt der Instrumente und Klänge eintauchen“ können, wie es der Pressetext suggeriert, ist zu bezweifeln, wenn nicht ergänzend eine direkte musikalische Praxis für das Kind existiert. Bleibt noch ein Wort zu den Illustrationen von David Doran, einem preisgekrönten Illustrator aus Großbritannien. Sein Bilderstil ist sehr klar, schematisch und damit hilfreich für die optische Darstellung von instrumentalen Details. Aber der Stil bleibt schablonenhaft, was dem sinnlichen Gegenstand der Musik nicht wirklich gerecht wird. So ist das Buch vor allem für Erwachsene eine gute und nützliche Erklär-Hilfe, wenn sie gemeinsam mit Kindern im Grundschulalter in die weite Welt des Orchesters einsteigen wollen. (Für Kinder ab 6 Jahren).

Petra Diepenthal-Fuder
Erkerode, 07.07.2020

 

 

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