Frank Goosen: The Beatles – Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2020. – 182 S. (KiWi Musikbibliothek ; 7)
ISBN 978-3-462-05406-4 : € 12,00 (Hardcover; auch als E-Book)
Die Marketing- und Grafik-Abteilungen des Verlags werden sich freuen: Diese Rezension beginnt nicht mit dem Autor oder der von ihm porträtierten Band. Vielmehr soll der erste Blick der Covergestaltung gelten. Auf einem einfarbigen hellblauen Hintergrund und in einem kräftigen Orangeton aufwärtsstrebend steht prominent der Buchtitel; gegenläufig und in weißer Schriftfarbe webt sich der Name des Autors durch die Titelbuchstaben. Verlags- und Reihenname sind in derselben Farbgebung dezent am unteren Rand platziert. Mehr braucht dieses Cover nicht, um ins Auge zu fallen. Betrachtet man die konsequente Anwendung dieser grafischen Idee in der Reihengestaltung der KiWi Musikbibliothek, kann man sich die Sogwirkung dieses Konzeptes auf die Bestückung des heimischen Bücherregals ohne weiteres vorstellen – es wird wohl nicht bei diesem Einzelexemplar bleiben.
Eine bloße grafische Spielerei ist die Covergestaltung jedoch nicht. Indem das schreibende Subjekt und das beschriebene Objekt miteinander verwoben werden, wird die Grundidee der Reihe deutlich: Hier handelt es sich nicht um eine mit wissenschaftlicher Grundierung versehene Künstlerbiografie oder musikalische Analyse. Hier liegt Bekenntnisliteratur auf dem Verkaufstisch! Oder wie es die Verlegerin Kerstin Gleba auf der Webseite des Verlags formuliert: „Radikal subjektive Liebeserklärungen an die Musik. (…) Autorinnen und Autoren schreiben über ihre Lieblingsband und erzählen dabei, was ihnen genau diese Musik, diese eine Band, diese Sängerin bedeutet.“. Dieses Konzept müssen die Leserinnen und Leser kennen und mögen, sonst werden sie wenig Freude an der Musikbibliothek haben. Wer sich jedoch darauf einlässt, der bekommt gut formulierte und originelle Bestätigungen für seine eigenen Vorlieben und kann sich dem wohligen Gefühl hingeben, Teil einer größeren Fangemeinde zu sein.
Im vorliegenden Band ist es der 1966 geborene Autor und Kabarettist Frank Goosen, der uns seine Liebe zu den Fab Four aus Liverpool erklärt. Dem deutschen Publikum ist Goosen unter anderem durch seine Romane Kein Wunder, Sommerfest oder Liegen lernen bekannt. Die biografische Rückschau, die der Autor in dem letztgenannten und bereits verfilmten Erinnerungsroman Liegen lernen betreibt, ist auch die Grundlage seiner Beatles-Betrachtungen. Diese hat Goosen sehr klug in drei Kapitel unterteilt: Im ersten Teil schaut der Autor auf seine Kindheit in Westdeutschland zurück und spürt der sensationellen Begeisterung nach, die seine ersten Begegnungen mit der Musik der Liverpooler Band ausgelöst hat. Der Umstand, dass er als Spätgeborener das Werk nur retrospektiv kennenlernen durfte, dadurch aber von Anfang an einen Gesamtblick entwickeln konnte, ist in Goosens Schilderungen immer präsent und wird bei einem Großteil der heutigen Beatles-Fans auf Resonanz stoßen. Ein kurzes literarisches Road Movie im wahren Wortsinne folgt im zweiten Teil. Zusammen mit seiner Familie macht Goosen sich auf nach Liverpool, mietet ein Taxi mit einem Beatles-Experten und klappert vom Cavern Club bis zur Penny Lane alle historisch wichtigen Plätze ab. Die Beschreibungen der vornehmlich verständnislosen Reaktionen seiner Teenager-Kinder kontrastieren hierbei auf äußerst amüsante Weise mit den eigenen euphorischen Empfindungen. Im letzten Teil hört Goosen sich in Vorbereitung für die Arbeit an dem Beatles-Buch durch seine Plattensammlung und schwelgt erneut in Erinnerungen. Hier wie auch in den vorderen Teilen formuliert der Autor immer wieder einzelne Gedanken zu Platten oder Konzepten, die eine weitere und sorgfältigere Betrachtung durchaus verdienen würden.
Bei einem Konzept wie dem der KiWi Musikbibliothek besteht immer die Gefahr, dass die Balance zwischen schreibendem Subjekt und Objekt aus dem Gleichgewicht gerät. Wie wichtig darf sich ein Autor nehmen? Wie interessant sind seine Empfindungen angesichts der musikalischen Leistungen der porträtierten Musiker? Auch Frank Goosen überschreitet bisweilen die Grenze, an der es für die Leser unbehaglich wird. Wenn der Autor zu verstehen gibt, dass er es als persönliche Beleidigung empfunden hätte, wenn jemand anderer mit dem Beatles-Buch beauftragt worden wäre (S. 80), dann ist der Schritt zur Selbstüberschätzung nur ein kurzer. Glücklicherweise ist Goosen aufgrund seiner selbstironischen Grundhaltung und des witzig-charmanten und originellen Schreibstils in der Lage, diese Fallstricke meist zu umgehen. Und er ist ehrlich genug, zuzugeben, dass er in dem Liverpooler Taxi-Fahrer und Beatles-Experten Steve seinen Meister gefunden hat.
Sieben Bände sind inzwischen in der KiWi Musikbibliothek erschienen, unter anderem mit Liebeserklärungen von Klaus Modick über Leonhard Cohen oder Lady Bitch Ray über Madonna. Dass die Auswertung nicht nur als gedrucktes Buch, sondern auch im E-Book-Format und als Hörbuch geschieht, ist erwartbar. Überraschender, dem Konzept der Reihe aber durchaus angemessen, ist jedoch die Produktion einzelner Podcasts, in denen die Autorinnen und Autoren zum Gespräch über ihre Bücher eingeladen werden. Hilfreich abgerundet werden die Veröffentlichungen durch Playlists, die auf der Verlagsseite als Streaming-Links angeboten werden.
Michael Stapper
München, 09.03.2020