R.I.P. Wolfgang Ritschel (1950-2017)!
Einen Nachruf zu schreiben für jemandem, der einem nahestand, fällt besonders schwer, und so kann ich mich erst am letzten Tage dieses Jahres endlich überwinden, einen Nachruf auf Wolfgang Ritschel, einen lieben Kollegen und Freund, zu schreiben, der im Oktober plötzlich gestorben ist.
Wolfgang Ritschel (Sächsische Landesbibliothek Dresden), Ann Kersting (Universitätsbibliothek Frankfurt/Main) und ich (Westdeutscher Rundfunk Köln) lernten uns vor 26 Jahren, im September 1991, bei der ersten gesamtdeutschen AIBM-Tagung in Berlin kennen; es war der Beginn einer wunderbaren musikbibliothekarischen Kollegialität und Freundschaft. Wolfgang Ritschel hatte eine Art, so sachkundig, lebendig und fesselnd von seiner Arbeit, von der Musik, die sein Beruf und sein Hobby war, zu erzählen, daß man ihm stundenlang zuhören konnte. Und das taten viele von uns auch im Anschluß an das Tagesprogramm bei den abendlichen Runden, manchmal bis weit nach Mitternacht. Dank ihm lernten wir rasch KollegInnen aus den neuen Bundesländern kennen. Er war nicht nur ein leidenschaftlicher Musikbibliothekar, sondern ein ebenso begeisterter Sänger (Tenor) in mehreren Chören; als Dresdener war er natürlich ein (Alt)Kruzianer, ebenso wie seine drei Söhne, auf die er sehr stolz war und deren Werdegang wir Freunde über all die Jahre mitverfolgen durften.
Über viele Jahre war er zusammen mit Ann Kersting(-Meuleman) innerhalb der AIBM Sprecher der „AG Musikbibliotheken an wissenschaftlichen Bibliotheken“, stellte interessante Sitzungen für die Tagungen zusammen. Für Fontes Artis Musicae, die Zeitschrift der internationalen Dachorganisation IAML, kompilierte er über Jahre hinweg penibel Tausende von deutschen Neuerscheinungen an Musikliteratur für die Rubrik Recent publications in Music. Geraldine Ostrove, deren Redakteurin, die ihn nur von Mails kannte, sprach mir gegenüber stets mit Hochachtung von ihm.
Wenn er in den vergangenen Jahren einmal nicht an den AIBM-Tagungen teilnehmen konnte, versäumte er es nie, vorher verschiedenen Mitgliedern „seiner AIBM-Clique“ Grüße an die anderen aufzutragen. Auch zwischen den Jahrestagungen hatten wir Kontakt, sei es per Telefon oder Postkarte, denn Wolfgang Ritschel gehörte zu den wenigen Menschen, die im digitalen Zeitalter noch eine andere Kommunikationsform als SMS oder WhatsApp kannten. Verschiedene KollegInnen hatten das Glück, zum Adressatenkreis der Grüße von seinen Urlaubs- oder Chorfahrten zu gehören.
Hin und wieder trafen wir uns in Berlin, wenn ihn Projekte mit der Domkantorei dorthin führten. Diese Gelegenheiten nutzte er auch stets, bei den Kolleginnen der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) auf einen Kaffee vorbeizuschauen. Mit der Kollegin der Stadtbibliothek Halle hingegen verabredete er sich alljährlich zur Leipziger Buchmesse: natürlich gab es auch von dort einen Kartengruß.
Zuletzt war Wolfgang Ritschel, schon als Rentner, bei der Tagung in Detmold 2016, dabei. Damals hatte er massive Probleme mit den Knien, die auch seine geplante Teilnahme an der diesjährigen Tagung in Münster verhinderten. So schrieb er im Sommer an die „Clique“: „Meine Knie sind nicht besser geworden, und ich habe mich nun durchgerungen, mir durch zwei OPen (OPs wäre ein falscher Plural) künstliche Kniegelenke einsetzen zu lassen.“ Auch konnte er innerhalb seines Hauses vom vierten in den ersten Stock umziehen. Noch Anfang September schrieb er mir: „… nach meiner Rückkehr von der Chorfreizeit auf der Insel Rügen habe ich nun letzte Hand angelegt und am 1.9. die vormalige Wohnung abgegeben. Zur Zeit bin ich mit der Erschließung und Verteilung der Kisteninhalte beschäftigt!!!“ Dazu blieb ihm nicht mehr viel Zeit. Am 15. Oktober 2017 starb Wolfgang Ritschel plötzlich und unerwartet im Alter von 67 Jahren. Möge er in Frieden ruhen!
Sechtem, Silvester 2017
Jutta Lambrecht