Jacobson, Joshua R.: Salamone Rossi. Renaissancekomponist der jüdischen Musik / Aus d. Engl. von Isabelle Wagner – Berlin: Hentrich & Hentrich, 2017. – 54 S.: Abb. (Jüdische Miniaturen ; 196)
ISBN 978-3-95565-186-2 bzw. 978-3-95565-187-9 (engl. Orig.-Ausg. (Jüd. Miniat. ; 196A): je € 8,90 (kt.)
Es ist durchaus angebracht, anlässlich des 450. Todestags von Claudio Monteverdi einmal seine epochalen Verdienste mit denen seiner Zeitgenossen Gesualdo, Gastoldi und anderen zu vergleichen. Beispielsweise mit denen seines jüdischen Kollegen Salamone Rossi Ebreo (ca. 1570 – ca. 1628), der sich zeitweilig neben Monteverdi jahrzehntelang am Hofe der Gonzaga in Mantua halten konnte. Dazu gibt das Büchlein des amerikanischen Musikhistorikers Joshua Jacobson, das in deutscher Übersetzung die erste deutschsprachige Einführung zu Rossi darstellt, eine gute Gelegenheit. Trotz großer Konkurrenz durch nichtjüdische Kollegen wie Monteverdi wurde Rossi wegen seiner musikalischen Verdienste für die Hofmusiken vergönnt, sich in der Stadt frei zu bewegen, ohne das diskriminierende orangefarbene Zeichen am Hut. Wie in Deutschland, repräsentiert durch Johannes Reuchlin, gab es auch in Italien im Rahmen des Humanismus und der Renaissancephilosophie Bestrebungen, die zivile Stellung der Juden zu heben, sie religiös zu tolerieren und ihnen speziell in Geldgeschäfte und auch in künstlerische und wissenschaftliche Bereiche Einlass zu gewähren.
Rossis künstlerisch-musikalische Betätigung am Hofe ist als avantgardistisch einzuschätzen. Jacobson gibt dafür einige Bespiele. Von ihm stammten das erste Madrigalbuch mit Lauten-Tabulatur (bereits 1600) und das erste mit Generalbassbegleitung (1602), dem dasjenige von Monteverdi, in dem er jene neue konzertierende Technik anwandte, erst drei Jahre später folgte. Monteverdi übernahm es dann auch, jene neuen Praktiken der an der italienischen Sprachpoesie orientierten mehrstimmigen oder monodischen Gesänge als seconda prattica zu verteidigen.
Verteidigungswürdig gegenüber der jüdischen Orthodoxie waren auch jene 33 Kompositionen Rossis, die er als liturgische, hebräisch textierte Motetten für den synagogalen Gebrauch in der Mantuaner jüdischen Gemeinde niederschrieb und die musikalisch im avancierten erweiterten Madrigalstil-Stil gehalten waren. Das einzige Dogma, das Rossi damals noch nicht durchbrechen konnte, war das Verbot von Instrumenten in der Synagoge, sodass es ausschließich A-cappella-Gesänge waren, die Psalmtexten und anderen liturgisch festgelegten Vorlagen folgten. Jacobson hält es für klug, dass Rossi damals nicht versucht habe, althebräische Melodien oder kantorale Gesänge, zu denen bisher von einer von der Gemeinde abgehobenen Sängerschar improvisiert wurde, zu verwenden oder zu imitieren, da diese in orientalischen Tongeschlechtern und mit für die italienische Musik atypischen Intervallen zelebriert wurden. Dennoch gab es in den Psalmvertonungen von Benedetto Marcello hundert Jahre später derartige Experimente, die sich nicht schlecht anhören.
Eine einmalige historische Konstellation, die Jacobson treffend beschreibt, verhalf Rossi zu diesen sensationellen und glücklichen Experimenten. Er war mit dem Mantuaner Rabbi Leon Modena befreundet, dem die Ablehnung der damaligen gesanglich ekstatischen Synagogenmusik durch die christliche Umwelt ein Dorn im Auge war und der trotz der musikfeindliche Orthodoxie dafür eintrat, die liturgische Musik in der Synagoge zu reformieren, zu professionalisieren und sie auf das Niveau der aktuellen vorangeschrittenen italienischen weltlichen Musik zu heben. Wogegen sich die kirchliche Obrigkeit der Christen jahrhundertelang, aber letztlich vergeblich gewehrt hatte, versuchte Modena mithilfe von Rossis Künsten im Handstreich in der Mantuaner Synagoge einzuführen. Er war Rossi dankbar, dass er bereit war, seine hebräischen Motetten als Exempel auch in Druck zu geben und er dazu ein rechtfertigendes Vorwort schreiben konnte, in dem er das, was zur musikalischen Verehrung Gottes in einer modernen Synagoge erlaubt sein sollte, stark erweiterte.
Jacobson gibt einige Bespiele aus diesen Motetten, anhand deren er zeigen kann, wie mutig und selbstbewusst auf der Höhe der Zeit Rossi operierte und zu welch expressiven, dissonanzenreichen Mitteln, außergewöhnlichen, ebenso von der christlichen Orthodoxie angefeindeten Akkordverbindungen er griff, die auch von Gesualdo und Monteverdi für ihre weltlichen und spirituellen Madrigale verwandt wurden. In Jacobsons komprimiert und trotzdem konzise vorgetragenen Argumenten, wird der historisch einmalige Glücksfall dieser Konstellation und Kombination heterogener kultureller Elemente auf dem Gebiet der jüdischen Musik einleuchtend und anschaulich geschildert.
Die Miniatur über Rossi lädt dringend dazu ein, seine auch heute noch stark beeindruckende Musik zu hören; eine kleine Diskografie gibt dazu Hinweise. Besonders das deutsche Publikum, zu dessen Standard-Kost solche ungewöhnliche Musik nicht eben gehört, sollte sich durch die erste Monografie zu diesem Thema animieren lassen, die Ohren zu spitzen, wenn jüdische Ensembles diese wertvollen Stücke aus der Überlieferung der Diaspora aufführen. Unterstützt wird Jacobsons Darstellung von instruktiven Abbildungen und Notenbespielen, durch die der auf- und anregende vermischte Charakter dieser bikulturellen Musik, deren Noten, man von links nach rechts und deren dazugehörigen Text man von rechts nach links zu lesen hatte, verdeutlicht wird. Auch von musikwissenschaftlicher Seite wäre an der kundigen Übersetzung von Isabelle Wagner kaum etwas auszusetzen.
Peter Sühring
Bornheim, 27.05.2017