Ickstadt, Peter: Die Messen Joseph Haydns. Studien zu Form und Verhältnis von Text und Musik. – Hildesheim: Olms, 2009. – 614 S. (Musikwissenschaftliche Publikationen; 31)
ISBN 978-3-487-13996-8 : € 68,00 (Pb.)
Joseph Haydns (1732–1809) Kirchenmusik gehört zu den von der Forschung vernachlässigten Bereichen seines OEuvres. Umso gespannter durfte man die im Haydn-Jahr erschienene Dissertation von Peter Ickstadt in die Hand nehmen. Allerdings dämpft bereits der Untertitel die Erwartungen: Die Beliebigkeit der Formulierung zeigt an, dass der umfangreichen Abhandlung eine Argumentationslinie fehlt, die im anglo-amerikanischen Raum bereits durch den Begriff „thesis“ gefordert wird. Die Formulierung und Durchführung bzw. Prüfung einer These im Hinblick auf wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ist allerdings eine Aufgabe, der sich auch deutschsprachige Dissertationen stellen sollten. Zudem reflektiert der Untertitel eine eher lockere Beziehung der einzelnen Teile der Abhandlung untereinander, d.h. der Untersuchung der Form und der Analyse des Verhältnisses von Text und Musik.
Auf einen historischen Überblick, der die Einschätzung von Haydns Messen seit ihrem Entstehen rekapituliert, folgt eine konzertführerähnliche Übersicht über die einzelnen Werke, in der man weitgehend eigene Argumente und Stellungnahmen des Autors vermisst. So verweist Ickstadt bei der Frage nach der Entstehungszeit der Missa Cellensis in honorem B. V. M. überhaupt nur noch auf die Literatur: „Dack und Feder resümieren zutreffend: ‚Alles in allem bleiben Zweifel, ob Haydn die Missa Cellensisin honorem Beatissimae Virginis Mariae 1766 in einem Zuge schuf.‘“ Als Hintergrund für die detailreichen Übersichten zur Formanlage bezieht Ickstadt Werke von Komponisten des 17. Jahrhunderts bis hin zu Haydns Zeitgenossen ein. Individueller ist dieBehandlung des Text-Musik-Bezugs, bei der er etwa Fragen der liturgischen Gestik berücksichtigt. Dass dabei Armin Raabs Dissertation zum Unisono in Haydns Messen nicht erwähnt wird, ist allerdings kaum nachvollziehbar.
In welche Richtung eine weiterreichende musikalische Analyse gehen könnte, hat Manfred Hermann Schmid jüngst in einem überaus anregenden Vortrag bei der Wiener Tagung Haydn im 21. Jahrhundert gezeigt; er konnte plausibel machen, dass es sich auch bei den Instrumentalabschnitten in Haydns Messen um textgezeugte Musik handelt. Darüber hinaus wären die Rahmenbedingungen genauer in den Blick zunehmen, z.B. die Feierlichkeiten in Eisenstadt, in die die Aufführungen von Haydns späten Messen eingebunden waren. Diese (bislang nur ansatzweise untersuchten) Feste, die einerseits den Namenstag der Fürstin Maria Hermenegild Esterházy verherrlichten, hatten andererseits während der Revolutionskriege eine eminent politische Bedeutung, so dass sich auf der Ebene der musikalischen Gestaltung ein komplexes Wechselspiel zwischen Aufführungsrahmen und theologischen Konventionen ergibt. Hier könnten neue Arbeiten anknüpfen.
Christine Siegert
Zuerst veröffentlicht in FORUM MUSIKBIBLIOTHEK 31 (2010), S. 166f.