Donna Leon: Endlich mein. Commissario Brunettis vierundzwanzigster Fall [Michaela Krucsay]

Leon, Donna: Endlich mein. Commissario Brunettis vierundzwanzigster Fall – Zürich: Diogenes, 2015. – 320 S.
ISBN 978-3-257-06943-3 : € 24,00 (geb.)

„Es ist immer nützlich, alte Freunde zu sehen, meinst du nicht?“ (S. 73) Die gelegentliche Rückkehr zu bekannten, jedoch lange vermissten Gesichtern vermag eine Buchreihe mit einer Aura des Vertrauten und – nicht zu unterschätzen – der Glaubwürdigkeit zu umgeben, falls der Autor bzw. die Autorin ihr Handwerk so gut versteht, wie Donna Leon es zweifellos tut. Mit Endlich mein, dem bereits 24. Fall von Commissario Guido Brunetti, beschloss die Wahlvenezianerin ihre Petrelli-Trilogie und schuf, ganz nach dem Vorbild der Stadt ihres Herzens, durch die Rückkehr zu den Anfängen ihrer populären Krimiserie für diese gewissermaßen die fondamenta.
Gleich zu Beginn spielt Leon mit sich verschränkenden Inhalts- und Bedeutungsebenen, indem sie mit der Inhaltsangabe des Finales der Puccinischen Tosca so unmittelbar in die Handlung einsteigt, als wäre dies bereits der neue Mordfall, mit dem der Commissario diesmal konfrontiert sein wird. Und in gewisser Weise wird sich dieser Eindruck auch bestätigen. Sopranistin Flavia Petrelli, die wir als aufstrebenden Gesangsstar in Brunettis allererstem Fall kennengelernt haben, sieht sich diesmal mit einem Stalker konfrontiert, der sie zunehmend in Panik versetzt: Ganze Meere von gelben Rosen und eine schier unbezahlbare Halskette unbekannter Herkunft finden ihren Weg nicht nur in Petrellis Garderobe, sondern auch hinter die eigentlich verschlossene Türe des Hauses, in dem sich ihre Wohnung befindet. Begonnen haben die allzu überschwänglichen Verehrungsbekundungen zwar bereits vor längerer Zeit, doch nun, während eines Gastspiels als Tosca in Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper, spitzt sich die Situation immer mehr zu, und sowohl Flavia Petrelli als auch ihr nahestehende Personen müssen um Leib und Leben fürchten. Der Schlüssel zur Identität des Stalkers scheint im von einer Überwachungskamera aufgezeichneten Überfall auf eine außergewöhnlich talentierte junge Gesangsstudentin zu liegen: Als sie nachts die Treppe einer Brücke hinuntergestoßen wird, hört sie ihren Angreifer mit anscheinend verstellter Stimme „È mia“ sagen, was übersetzt sowohl „Sie gehören mir“ als auch „Sie ist mein“ bedeuten könnte.
Changierende Identitäten und das Spiel mit dem Nicht-ganz-Zuordenbaren prägen Commissario Brunettis vierundzwanzigsten Fall. Warum, beispielsweise, sollte man allzu fest davon ausgehen, dass der Stalker einer gefeierten Operndiva zwingend ein Mann sein muss? Und – möglicherweise erscheint die Frage zunächst etwas absurd, ohne es letztlich jedoch zu sein – welches Motiv kann ein Stalker bzw. eine Stalkerin für sein/ihr Tun haben? Große Überraschungen bleiben dennoch aus. Einmal in die fiktiv-kriminologische Welt der engen venezianischen Gassen eingelesen, erscheint die Handlung recht vorhersehbar, und am Ende bleibt eine vage Unzufriedenheit zurück, scheinen doch nicht alle Details völlig schlüssig zu sein oder werden wenigstens nicht vollständig aufgelöst. Die Handlung von Endlich mein, dessen Originaltitel Falling in Love sich nach erfolgter Lektüre als um ein Vielfaches passender erweist als jener der deutschen Übersetzung, scheint dabei selbst in die Nähe eines Opernlibrettos zu rücken und wartet mit einem umfangreichen Gefühlsspektrum von Liebe, Eifersucht, unaufgearbeiteten Traumata und Ehrgeiz als Triebfedern menschlichen Handelns auf. Mord gibt es diesmal keinen; auf eine Leiche muss aber, wiederum ganz „operngerecht“, dennoch nicht verzichtet werden.
Donna Leon versteht es virtuos wie eh und je, charmante Klischees verschiedener Couleur zu einer Geschichte zu verweben, die gleichermaßen Venedig- und Opernliebhaber auf angenehmste Art und Weise unterhält. Ihre Fans danken es ihr und kehren immer wieder gern an ihrer und Guido Brunettis Seite in die nicht immer heitere Serenissima zurück.

Michaela Krucsay
Leoben, 06.01.2016

 

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